100 Jahre Frauenwahlrecht
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GESCHICHTE, DIE ALLE BEWEGT
„Wir streben nicht blindlings das Wahlrecht an, sondern in klarer Erkenntnis, daß das Wahlrecht Macht ist ...“
( Marianne Hainisch, Festschrift des Österreichischen Frauenstimmrechtskomitees, Wien 1913 )
2018 ist ein überaus wichtiges Gedenkjahr für zahlreiche historische Ereignisse, die die Geschicke Österreichs und Europas maßgeblich geprägt haben: Neben der Gründung der Ersten Republik 1918 wird der Revolution von 1848, des „Anschlusses“ an Nazi-Deutschland 1938 und der StudentInnenrevolten von 1968 gedacht und dies zum Anlass genommen, unsere Gedächtnis- und Erinnerungskultur neu zu verhandeln. Gerade deshalb gilt es, einem weiteren demokratiepolitisch relevanten Jubiläum die ihm gebührende Aufmerksamkeit zu schenken: der Einführung des Frauenwahlrechts 1918 in Österreich. An und für sich stellt dieses Ereignis keinen blinden Fleck dar, wurde seine Geschichte doch intensiv beforscht und vollständig aufgearbeitet. Trotzdem scheinen die erste Frauenbewegung und ihre Relevanz für unsere Gesellschaft zu wenig in unserem kollektiven Gedächtnis verankert zu sein, denn das Thema findet in der breiten Öffentlichkeit kaum Resonanz. Das hat die Abteilung Kunst und Kultur/Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich – initiiert vom Frauenreferat des Landes Niederösterreich – zum Anlass genommen, diesen Meilenstein unserer Geschichte zu würdigen und ein mehrteiliges temporäres Projekt für den öffentlichen Raum zu entwickeln. 100 Jahre Frauenwahlrecht und die Geschichte der Frauenwahlrechtsbewegung sollten mit den Mitteln der Kunst einer breiteren Öffentlichkeit ins Bewusstsein gerufen werden. Eine Fachjury lud die Künstlerinnen Jakob Lena Knebl, Isa Rosenberger und Susanne Schuda ein, Plakate zu entwerfen, und bat die Künstlerin Susi Jirkuff, einen Animationsfilm zu gestalten.
Ein langer Kampf
Am 12. November 1918 wurde das „allgemeine, gleiche, direkte und geheime Stimmrecht für alle Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts“ erlassen, womit es Frauen am 16. Februar 1919 erstmals möglich war, gleichberechtigt mit Männern an der Wahl zur Nationalversammlung teilzunehmen und auch selbst gewählt zu werden. Schließlich zogen acht Frauen in die Nationalversammlung ein. Die endgültige Durchsetzung des Frauenstimmrechts hängt zwar auch mit den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen infolge des Ersten Weltkrieges, des Zusammenbruchs der k. u. k. Monarchie und der Republiksgründung zusammen, ist aber in erster Linie das Resultat verschiedener proletarischer und bürgerlich-liberaler Bewegungen, die sich (weltweit) für die politische Partizipation der Frauen eingesetzt und diese schließlich erkämpft haben. In Österreich hatten diese Anstrengungen ihren Ursprung in der Märzrevolution von 1848, als Frauen erstmals für gleiche Löhne für gleiche Arbeit demonstrierten und einige von ihnen dabei sogar ihr Leben verloren. Die Niederschlagung der Revolution und die Installation eines neoabsolutistischen Systems waren nicht nur aus demokratiepolitischer Sicht ein verheerender Rückschlag, sondern auch für die Frauen und ihr Bestreben nach gleichen Rechten. Sie wurden noch stärker aus dem öffentlichen Leben verdrängt, als es vorher der Fall war. Aber auch um die Jahrhundertwende galten Frauen immer noch als BürgerInnen zweiter Klasse, waren sie doch wirtschaftlich und politisch unmündig und völlig von ihren Familien bzw. ihren Männern abhängig.
In dem Bewusstsein, dass politische Mitbestimmung ein Privileg der Besitzenden und Gebildeten war, konzentrierten sich die Bestrebungen der österreichischen Frauenwahlrechtsbewegung gezielt auf die Verbesserung der Bildung von Frauen. Sie waren nicht nur von politischen Aktivitäten und der Teilnahme am Vereinswesen weitgehend ausgeschlossen, sondern auch von jeglicher Form von höherer Bildung und hatten keinen Zugang zu Hochschulen und Universitäten. Auf Initiative von Marianne Hainisch, die eine zentrale Figur der bürgerlich-liberalen Frauenbewegung war und 1901 den Bund der Österreichischen Frauenvereine gründete, erfolgte 1892 die Gründung des ersten Mädchengymnasiums.
Erst nach der Jahrhundertwende veränderte sich die vorherrschende Situation langsam, und die Diskussion rund um das Frauenwahlrecht war in der Öffentlichkeit angekommen – nicht zuletzt dank der unzähligen Initiativen, Petitionen, Resolutionen und Kundgebungen des 1905 gegründeten unparteiischen Frauenstimmrechtskomitees in Wien, Prag und Brünn. Die mit der Ausrufung der Ersten Republik 1918 beschlossene Einführung des Frauenwahlrechts beendete nicht nur den Ausschluss der Frauen von politischen Entscheidungen, sondern trug einer gesellschaftspolitischen Realität Rechnung, die infolge des Ersten Weltkrieges sichtbarer geworden war: Frauen waren immer schon Teil des öffentlichen und sozialen Lebens gewesen und trugen einen erheblichen Teil zur Wirtschaftsleistung des Landes bei.
Was uns noch zu tun bleibt
Heute sehen wir die Rechte von Frauen als selbstverständlich an, aber die Einführung des Frauenwahlrechts war nur ein erster von vielen gesellschaftlichen und politischen Schritten, die die Gleichberechtigung der Geschlechter sicherstellen sollten. Selbst heute, 100 Jahre später, sind die strukturelle Benachteiligung von Frauen und männliche Machtstrukturen immer noch vorhanden und ist die Chancengleichheit für Frauen und Männer keineswegs sichergestellt. Es bedarf noch vieler gemeinschaftlicher Anstrengungen, bis alle Forderungen der WahlrechtsaktivistInnen von damals erfüllt sind: Denken wir an die erhebliche Einkommensschere, die Kinderbetreuung sowie die Pflege von Angehörigen, die immer noch mehrheitlich von Frauen geleistet werden, oder den offenen Sexismus, dem Frauen sich immer noch ausgesetzt sehen. Auch haben nach wie vor deutlich weniger Frauen als Männer ein politisches Amt inne. Es ist eine simple Tatsache, dass der österreichische Parlamentarismus auch 2018 von Männern dominiert wird. Der Anteil der Frauen im Parlament liegt bei nur ca. 34 Prozent, lediglich 7,6 Prozent der Gemeinden werden von einer Bürgermeisterin geleitet, und Niederösterreich ist erst das dritte Bundesland mit einer Landeshauptfrau an der Spitze.
Wider die Geschichtsvergessenheit
Die vier Künstlerinnen Susi Jirkuff, Jakob Lena Knebl, Isa Rosenberger und Susanne Schuda haben unterschiedliche Zugänge gewählt, um die historische Entwicklung und zeitgenössische Aspekte der politischen Partizipation von Frauen zusammenzuführen. Dabei fungiert der öffentliche und digitale Raum als Projektionsfläche und Multiplikator für die von den Künstlerinnen konzipierten Sujets und Filme. Ziel dieses Projekts ist es, eine möglichst große Sichtbarkeit zu erreichen und eine andauernde Auseinandersetzung mit dem Thema anzustoßen. So fordern uns die künstlerischen Beiträge auf, genauer hinzusehen, kritische Fragen zu stellen und uns aktiv an der Wechselbeziehung zwischen Privatem und Politischem, der persönlichen Sphäre und der vorgegebenen Wirklichkeit der Gesellschaft zu beteiligen. Im Dialog mit dem Publikum hat Kunst das Potenzial, eine Form von Öffentlichkeit zu schaffen, in der auch komplexere historische Zusammenhänge vermittelt und mit unserer Gegenwart in Beziehung gebracht werden können.
Darüber hinaus ist es ein großes Anliegen dieses Projekts, vor allem junge Menschen zu erreichen, um ihr Bewusstsein für die Pionierleistungen von Frauen zu stärken, diese fester im kollektiven Gedächtnis zu verankern und so einer um sich greifenden Geschichtsvergessenheit entgegenzuwirken. Gerade weil die #MeToo-Debatte den Blick geschärft hat, gilt es, Probleme offen anzusprechen und die jüngere Generation weiter dafür zu sensibilisieren. Deshalb wird die vorliegende Broschüre, die das Projekt begleitet, nicht nur in diversen Institutionen, sondern vor allem an Schulen zur freien Entnahme angeboten. Weiters wurden von den Künstlerinnen Workshops für SchülerInnen der Oberstufe und KunsterzieherInnen entwickelt, die das Thema anhand eigener Formate vertiefen und so einen direkten Dialog anregen. Die entstandenen Plakatsujets werden im Zeitraum Oktober bis Dezember in Niederösterreich affichiert sein, und das Videoprojekt wird online zugänglich sein.
(Georgia Holz)
Beiträge
Susi Jirkuff
DIY
2018, drei HD Videos, Animation,1/3: 4,42 min, 2/3: 3,56 min, 3/3: 3,29 min, Fotomaterial: Fair Use
Susi Jirkuff hat drei Animationsfilme realisiert, die Schülerinnen und Schüler spielerisch an das Thema und die Geschichte des Frauenwahlrechts heranführen sollen. Angelehnt an die Ästhetik von YouTube-Videos, wie sie von Digital Natives gerne konsumiert oder selbst produziert werden, hat die Künstlerin 2D-Marionetten animiert. Diese tragen die Gesichter von österreichischen Wahlrechtsaktivistinnen, die um 1918 zur Einführung des Frauenstimmrechts beigetragen haben: Anna Boschek, Emmy Freundlich, Marianne Hainisch und Adelheid Popp waren unter den ersten von insgesamt acht Frauen, die in das österreichische Parlament gewählt wurden. Durch die Verwendung von Jugendporträts dieser Frauen in Verbindung mit Outfits, wie junge Menschen sie heute tragen, wird ästhetisch und inhaltlich ein Bogen zwischen der vermeintlich abgeschlossenen Geschichte und ihrer Aktualität für unsere Gegenwart geschlagen. Umfassende Archivmaterialien und historische Abbildungen oder Fotografien liefern den Hintergrund für die Figuren und verdichten sich mit den historischen Fakten zu einem interessanten und lehrreichen Erzählstrang, der vor allem junge Menschen adressiert.
Drei Mädchen haben diesen couragierten Frauenfiguren ihre Stimmen geliehen und erzählen anhand von kurzen biografischen Anekdoten und Zitaten von den damaligen Verhältnissen. Susi Jirkuffs Narrationen skizzieren auf einfache, aber informative Weise die sozialen und politischen Lebensumstände von Frauen um die Jahrhundertwende: den erschwerten Zugang zu Bildung, die teilweise schwere körperliche Arbeit, die insbesondere schlechter gestellte Frauen schon von Kindesalter an leisten mussten, und ihren mehr oder weniger „rechtlosen“ Status. Dem Alltag von Kindern wird dabei besondere Aufmerksamkeit geschenkt, um für jugendliche SeherInnen ein Bild davon zu zeichnen, wie dringlich die Bestrebungen für das Stimmrecht waren und welche weitreichenden Folgen sie für Frauen und ihre Kinder hatten.
Dieses politische Engagement einte Frauen aller sozialen Schichten, bildungsferne Arbeiterinnen ebenso wie privilegierte Frauen aus der bürgerlichen Oberschicht. Sich zu solidarisieren und eine gemeinsame Sprache zu finden war allerdings kein leichtes Unterfangen, wie die kurzen Videos veranschaulichen. Exemplarisch stellt Susi Jirkuff die Aktivistinnen Adelheit Popp (1869–1939) und Anna Boschek (1874–1957) als Teil der sozialdemokratischen Bewegung vor sowie Marianne Hainisch (1839–1936), die aus einer Industriellenfamilie stammte. Alle sahen im umfassenden Zugang zu Bildung für Frauen und Mädchen die Grundvoraussetzung für eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen und rechtlichen Situation. So initiierte etwa Marianne Hainisch 1892 die Gründung des ersten Mädchengymnasiums und legte damit das Fundament für den Zugang von Frauen zu höherer Bildung und zu den Universitäten.
(Georgia Holz)
Jakob Lena Knebl
High Heels oder Sneakers
Ist die Wahl der neuesten modischen Accessoires relevanter als jene unserer politischen VertreterInnen? Haben politisches Handeln und der Kampf für Gleichberechtigung angesichts von Konsum und Warenbegehren an Dringlichkeit verloren? Auch wenn das Thema Feminismus heute mehrheitsfähig und zu einem Teil des Mainstreams geworden zu sein scheint, lassen die darüber geführten Diskussionen ein Geschichtsbewusstsein vermissen. Der lange und steinige Weg, den die für das Wahlrecht engagierten Frauen gehen mussten, ist der Mehrheit nicht bekannt. Mit solchen Fragestellungen konfrontiert uns Jakob Lena Knebls Plakatserie zu „100 Jahre Frauenwahlrecht in Österreich“, aber wie so oft begegnet die Künstlerin auch diesem Thema mit dem für ihre Arbeit typischen Humor, um spielerisch einen Blickwechsel zu initiieren. In gemusterten Kleidern inszeniert sie sich betont feminin und scheint vor banale alltägliche Wahlen gestellt, nämlich jene des Nagellacks, der Schuhe, des Partners oder des Menüs. Ganz bewusst nutzt die Künstlerin Waren- und Modeästhetik als Medium für eine gesellschaftskritische Botschaft, um mittels vertrauter plakativer Bildsprache Hemmschwellen zu senken und Aufmerksamkeit für dieses Thema zu wecken. Ihre parodistische Interpretation verdeutlicht unverblümt, welche anderen und gewichtigeren Wahlmöglichkeiten Frauen heute zur Verfügung stehen.
Vor allem die in Großbritannien aktiven Suffragetten hatten erkannt, dass sie ihren Kampf um politische Partizipation nicht ohne öffentliche Sichtbarkeit erreichen würden, und schreckten auch vor performativem, mitunter riskantem „Körpereinsatz“ nicht zurück. Das reichte von Märschen und zivilem Ungehorsam wie kollektivem Rauchen in der Öffentlichkeit, was Frauen untersagt war, bis hin zur Zerstörung weiblicher Akte in öffentlichen Museen. Durch diese gemeinschaftlich organisierten Handlungen und die buchstäbliche Körperpräsenz wurde den Suffragetten mediale Aufmerksamkeit zuteil, die eine andauernde Debatte ihrer Forderungen in der Öffentlichkeit forcierte – eine Art Breitenwirksamkeit, wie sie sich auch Jakob Lena Knebl in ihrer künstlerischen Arbeit angeeignet hat und die sie in den Performances und inszenierten Fotografien mit dem eigenen Körper immer wieder neu auslotet.
Auf den Plakaten nimmt die Künstlerin den eigenen – üblicherweise nackt dargestellten – Körper zurück, präsentiert sich fragmentiert und richtet den Fokus auf einzelne Körperteile und Gesten, die die dargebotenen Gegenstände wie Fetischobjekte präsentieren. Die überbordenden Muster verhüllen den Körper fast völlig, der Stoff gerät zum Allover, zur Projektionsfläche und Folie für Begehren – ein parodistischer Seitenhieb auf klischeehafte Frauenbilder und jene Mechanismen, die immer wieder neue Archetypen zu generieren vermögen oder vermochten. So zweifelten schon die Gegner des Frauenwahlrechts prinzipiell an der Fähigkeit der Frau, eine objektive und rationale Entscheidung treffen zu können. Im Nebel der Geschichtsvergessenheit spricht manch einer das dem weiblichen Geschlecht auch heute noch ab. (Georgia Holz)
Isa Rosenberger
Isa Rosenbergers primäres künstlerisches Anliegen sind die Kontextualisierung historischer Ereignisse in unserer Gegenwart, das Nacherzählen von Geschichte und das Hinterfragen gängiger Narrative. Häufig richtet sie den Blick auf alternative Lesarten von Geschichte oder vergessene Geschichte(n), so auch auf jene der FrauenwahlrechtsaktivistInnen in Österreich. Ihr Plakatentwurf führt mittels Montage zwei Ebenen und Zeitlichkeiten zueinander: die historischen Fotografien von demonstrierenden Frauen (und Männern) werden durch aktuelle Wortmeldungen junger Menschen kommentiert. Die Auswahl und Komposition der Fotografien stellt die physische Präsenz und buchstäbliche Körperpolitik der Aktivistinnen in den Vordergrund und erinnert uns daran, wie konsequent und ausdauernd diese streitbaren Frauen ihr Recht einforderten und welchen staatlichen Repressionen, Anfeindungen und Diffamierungen sie teilweise ausgesetzt waren. Wenn auch die österreichische Frauenrechtsbewegung weniger radikal vorging, so standen der Erfindungsreichtum und die Beharrlichkeit ihres Engagements internationalen Mitstreiterinnen wie den Suffragetten um nichts nach. Die Aufnahmen zeigen auch deutlich, dass der Wunsch nach politischer Mitbestimmung Frauen aller Schichten und jeden Alters einte. Ihre Entschlossenheit und Geschlossenheit, mit der sie ihren Forderungen Nachdruck verliehen und in der Öffentlichkeit auftraten, werden auf der Textebene neu kontextualisiert. „Mut, Stärke, Willenskraft, Entschlossenheit und die Hoffnung, etwas verändern zu können“ sind einige der Attribute, die den Demonstrantinnen heute in einem der Kommentare zugesprochen werden, die allerdings von Zeitgenossen wohl kaum geteilt wurde.
Ein essenzieller Aspekt von Isa Rosenbergers Plakatentwurf ist die Partizipation von Schülerinnen und Schülern, mit denen die Künstlerin im Rahmen von Workshops den Kampf der FrauenwahlrechtsaktivistInnen und die Bedeutung ihrer Errungenschaften für uns heute anhand historischer Fotografien diskutiert hat. Einige der dabei formulierten Kommentare der Jugendlichen bilden die Textebene des Plakats und werden mit den historischen Aufnahmen gleichsam zu einem Dialog zwischen den Generationen verdichtet. Die Fotos zeigen uns „einen Punkt der Geschichte, wo die Zukunft neu geschrieben wurde“, bringt es ein Kommentar der SchülerInnen sehr trefflich auf den Punkt. An Anerkennung der Leistungen der AktivistInnen und an Bewusstsein für die Relevanz des allgemeinen Wahlrechts scheint es der jungen Generation jedenfalls nicht zu mangeln, es stellt sich nur die Frage, welchen Beitrag wir für eine bessere Zukunft leisten können. (Georgia Holz)
Susanne Schuda
Out Of The Box
Seit ihrer Erfindung zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Collage zu dem künstlerischen Medium der Übertreibung, Zuspitzung, De- und Neukonstruktion schlechthin. Durch ihr Potenzial zur Radikalität und die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten eignete sie sich besonders zur Bemächtigung und Umkehrung medialer Bilder und wurde traditionell gerne für die Kritik an politischen Systemen genutzt. Auch Susanne Schuda arbeitet gerne mit (digitaler) Collage und Fotomontage, um gesellschaftspolitische Entwicklungen kritisch in den Blick zu nehmen. Für sie ist die Collage aber auch im Hinblick auf die Veränderungen durch den digitalen Raum und die damit einhergehenden Suchmodalitäten interessant – Veränderungen, die unsere Bildproduktion im Allgemein und ihre eigene im Speziellen beeinflussen.
Jedes Element in ihrem präzise komponierten Plakatentwurf ist mit Bedeutung aufgeladen und transportiert pointierte Botschaften: „Heraus mit dem Wahlrecht“ war eine kämpferische Parole jener engagierten Frauen, die in Österreich gegen Ende des 19. Jahrhunderts angetreten waren, um für ihre politische Teilhabe zu kämpfen. Es wurde zu einem geflügelten Wort und veranschaulicht die Tatsache, dass das Wahlrecht buchstäblich unter Verschluss gehalten wurde und der männlich besetzte Staat zunächst nicht willens war, den Frauen politische Mitbestimmung zu gewähren. Susanne Schuda stellt eben diese Parole ins Zentrum ihres Posters, allerdings nicht mehr als politische Forderung an die Obrigkeit, sondern auf Stimmzetteln, die in eine Wahlurne eingeworfen werden. Diese simple Verschiebung verdeutlicht, dass das Wahlrecht seit 1918 zwar BürgerInnen beiden Geschlechts zugänglich ist, damit aber auch heute noch nicht alles erreicht ist, wofür die Wahlrechtsaktivistinnen kämpften. Bei Schuda wird das zu einem Appell an alle Frauen von heute, ihr erkämpftes Recht nicht zu verwirken, sondern es zu nutzen, um unsere Gesellschaft zum Positiven zu verändern. Themen wie Diversität und Solidarität unter den Frauen holt die Künstlerin durch die collagierten Gesichter der Demonstrantinnen ins Bild – dort spiegeln sich auch die Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten, die in politischen Prozessen entstehen können.
Als ein weiteres Symbol für die „Doppelbödigkeit“ des Wahlrechts lässt sich die Wahlurne lesen, deren Inneres ein häusliches Interieur birgt, traditionell jener Bereich, mit dem Frauen identifiziert wurden und teilweise immer noch werden. Dass diese Teilung vor allem auf dem politischen Parkett traurige Realität ist, veranschaulicht das kleine Gruppenbild anonymer und vorwiegend männlicher Anzugträger, eine Norm in der medialen Berichterstattung. Der Großteil der politischen Akteure ist nach wie vor männlich. Das Versprechen von Freiheit, Selbst- und Mitbestimmung der Frauen ist trotz des 100-jährigen Bestehens ihres Wahlrechts nach wie vor nicht eingelöst. Umso dringlicher ist Susanne Schudas Aufruf, vor allem an Frauen, gegenüber den Errungenschaften der Wahlrechtsaktivistinnen nicht gleichgültig zu sein und wieder lautstark für die eigenen Rechte, aber auch die Rechte anderer einzutreten und Missstände aufzuzeigen. Metoo# und Frauenvolksbegehren sind der Beweis dafür, dass sich Solidarität und kollektives Eintreten für Überzeugungen auszahlen. (Georgia Holz)