In This Together
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IN THIS TOGETHER entstand aus der Idee, anlässlich des Jubiläums des Beitritts Österreichs zur Europäischen Union, der sich 2020 zum 25. Mal jährte, ein Gegenwartskunst-Projekt im öffentlichen Raum umzusetzen. Diversität, Vielfalt und Zusammenhalt – ein Friedensprojekt: Dieses sollte nicht nur in der Bundeshauptstadt, sondern auch in der jüngsten Landeshauptstadt Europas Anlass bieten, die Bedeutung, die Errungenschaften, aber auch die Ecken, Kanten und Grenzen Europas zu reflektieren. So fiel die Wahl des Ortes auf das niederösterreichische St. Pölten. Zwei Künstler*innen, die in unterschiedlichen Teilen Europas geboren wurden, aber schon seit vielen Jahren in Österreich leben und arbeiten und daher auch eine gewisse Außenperspektive mitbringen, wurden eingeladen, das Projekt künstlerisch zu entwickeln: Aldo Giannotti (geb. 1977 in Genua/Italien) und Borjana Ventzislavova (geb. 1976 in Sofia/Bulgarien).
Die Künstler*innen besuchten im Vorfeld mehrere Male St. Pölten, um auf Streifzügen, die wir gemeinsam durch die Stadt unternahmen, die Gebäude und Plätze, auf und an denen künstlerisch interveniert werden sollte, auszuwählen. Von Anfang an war die Überlegung zentral, dass in der Stadt mehrere Schauplätze „bespielt“ werden sollten, um der Idee eines Spaziergangs bzw. einer Route, die sich beim Abschreiten des künstlerischen Parcours ergeben sollte, Rechnung zu tragen. So sollte auch eine Brücke zwischen den beiden Stadtteilen Innenstadt und Regierungsviertel geschlagen werden.
Das Projekt befand sich mehrere Monate in der Konzeptionsphase. Als aber dann im März 2020 die Corona-Pandemie Österreich erreichte und zum ersten Lockdown führte, machten sich in puncto Umsetzbarkeit Zweifel breit. Doch kurz nach Ostern 2020 fiel dann dennoch der Startschuss. Gemeinsam mit Barbara Horvath habe ich daraufhin mit dem von uns gegründeten Verein art hoc projects, der internationale erfolgreiche Gegenwartskunst an atypische Orte bringen will, mit der Umsetzung begonnen. Nicht nur das Land Niederösterreich, sondern auch die Stadt St. Pölten sowie eine Vielzahl von Sponsor*innen haben uns geholfen, das Projekt in der Form, wie es im November 2020 in der Stadt St. Pölten sichtbar geworden ist, zu realisieren. Letztlich haben wir zu zweit bzw. zu dritt – immer wieder wurden wir auch von Martina Thaler in allen kommunikativen Belangen unterstützt – in nur einem halben Jahr ein Kunst-im-öffentlichen-Raum-Projekt auf die Beine gestellt, das nicht nur sämtliche zentralen Gebäude und Stakeholder von Stadt und Land involviert hat, sondern auch in der sich gerade abzeichnenden Corona-Krise einen wertvollen künstlerischen Diskursbeitrag lieferte.
Die Momente der Unsicherheit, die wir durchlebten, hatten – wie rückblickend klar wurde – auch große Vorteile, was die künstlerische Auseinandersetzung anbelangte: Beide Künstler*innen ließen die Erfahrung der um sich greifenden Pandemie in ihre Arbeit miteinfließen. Auch der Titel IN THIS TOGETHER spielt natürlich darauf an. Während Borjana Ventzislavova sich für Neon-Schriftzüge entschied, die ihrer Handschrift entsprechen und am Bahnhof, dem Rathaus und am Landtagsschiff teilweise in schwindelerregender Höhe angebracht wurden, entwarf Aldo Giannotti eine ganze Serie von Zeichnungen, von denen schließlich eine kleine Auswahl am Klangturm, am Festspielhaus, beim Programmkino Cinema Paradiso am Rathausplatz sowie auf Postern und Stofftaschen, die kostenlos in der Stadt verteilt wurden, realisiert wurden.
Aldo Giannotti und Borjana Ventzislavova teilen über ihre künstlerischen Interventionen ihre Fragen an bzw. Perspektiven und Hoffnungen für Europa mit der Öffentlichkeit. Eine Krise – davon haben uns Künstler*innen seit Generationen immer wieder überzeugt – kann wie ein Motor wirken, der vieles in Bewegung setzt. Borjana und Aldo haben mit ihren Ideen für den öffentlichen Raum hier nicht nur Kunstwerke geschaffen, die ganz unmittelbar und in Echtzeit auf „die Welt da draußen“ reagieren, sondern allen Bürger*innen auch Anregung, Mut, Trost, Kritikinstrument und – last, but not least – auch das Bewusstsein schenken, dass Europa gerade angesichts einer derartigen Krise wie der gegenwärtigen Pandemie eine Idee ist, die vereint für Solidarität und gegenseitige Hilfestellung steht und uns alle an unser Recht, aber auch unsere Pflicht erinnert, Teil davon zu sein und zu partizipieren.
Gerade die Arbeiten von Aldo Giannotti gingen dabei auch sehr kritisch mit der europäischen Idee um: „E.U. – All possible directions“ etwa hat er auf eine in monumentales Format vergrößerte Zeichnung geschrieben, die eine Topfpflanze zeigt, deren verschiedene Wuchsrichtungen nach oben, unten, links und rechts mit strichlierten Linien nur angedeutet sind. Die Pflanze wurde hier für ein Sinnbild der Europäischen Union, deren Entwicklung ungewiss scheint, deren Zukunft aber eindeutig in unserer Hand liegt. Borjana Ventzislavova ging nicht weniger kritisch mit der Aufgabenstellung um, wenn Sie etwa am Rathaus die Frage „Quo vadis, Europa?“ stellt oder am Hauptbahnhof auf die mythologische und namensgebende Figur der Europa und gleichzeitig auf die virulente Frage der Migration anspielt: „Ihr Name ist Europa. Sie kam über das Meer.“
Pandemiebedingt konnten wir das Projekt nur mit einem überschaubaren Vermittlungs-Programm begleiten. Führungen fanden immer wieder statt, im historischen Stöhr-Haus in der Kremser Gasse gab es eine begleitende Ausstellung mit weiteren Arbeiten beider Künstler*innen. Das Projekt zog ein reges Presse-Echo nach sich, und es gab – was für mich eigentlich am wertvollsten war – viele Stimmen aus der Bevölkerung, die sich begeistert über das Projekt äußerten. „Bleibt das Projekt? Es ist mir wichtig geworden“, hat uns z. B. jemand geschrieben. Gerade in Zeiten des Lockdowns – ganze fünfmal während der Projekt-Laufzeit – wurde vielen die Bedeutung von Kunst im öffentlichen Raum schlagartig bewusst. Der öffentliche Raum ist ein politischer Raum, der allen zur Verfügung steht, der sich aber auch in einem permanenten Wandel befindet. Hier kommt die Kunst zu den Menschen – von zwei Künstler*innen, die international Furore machen und mittels Kunst ihre Stimme erheben: für ein Europa, das auch morgen noch wächst, gedeiht, geeint ist. Oder wie es Borjana Ventzislavova formuliert: „Es ist Zeit uns die Frage zu stellen, in was für einer Welt wir leben wollen, und in dieser kann Europa hoffentlich noch der sprichwörtliche Leuchtturm werden. Let’s all participate in this, it’s about us.“ In diesem Sinne ist es auch ein schönes proeuropäisches Zeichen, dass sich die Stadt St. Pölten, das Land Niederösterreich und die ÖBB entschlossen haben, die Schriftzüge, die Borjana Ventzislavova für das Rathaus, das Landhausschiff und den Bahnhof konzipiert hat, zu erwerben und dem Projekt somit zu ermöglichen, sich permanent in die Stadt(geschichte) einzuschreiben.
Lisa Ortner-Kreil
Kuratorin: Lisa Ortner-Kreil / Produktionsleitung: Barbara Horvath
Ein Projekt von art hoc projects.
Das Projekt wurde vom Land Niederösterreich, der Stadt St. Pölten sowie weiteren privaten Sponsoren/Partner*innen gefördert.
Mitwirkende
- Kuration
Beiträge
Aldo Giannotti
Aldo Giannotti zeichnet Europa in der Krise
Für IN THIS TOGETHER hat der Künstler eine Reihe von Zeichnungen produziert, die großflächig auf Gebäude-Fassaden und animiert auf Flat-Screens erscheinen, als auch auf Postern und Taschen wiederzufinden sind, die im Cinema Paradiso und im Festspielhaus zur freien Entnahme aufliegen. Giannotti kommentiert über seine Zeichnungen pointiert die europäische Identität in Krisenzeiten. In einem Cross-Over aus Kunst- und Sozialkritik bedient er sich einer minimalistischen, oft humorvollen Darstellungsform, um „verschobene“, mitunter „ver-rückte“ politische und gesellschaftliche Zustände zu visualisieren und zu greifbar zu machen.
„In meiner künstlerischen Praxis spielt die Zeichnung eine zentrale Rolle (…) Die Zeichnung hilft mir, meine Idee zu Papier zu bringen und eine Pointe zu formulieren, die die Form eines Statements, einer Frage oder eines Witzes annehmen kann. Während meine Arbeit oftmals ortspezifisch ist, thematisiert sie bei diesem Projekt auch spezifisch die Zeit, in der sie entstanden ist. Ich übe sozusagen eine kommentarhafte Kritik an der Identität und der Verantwortung Europas in Krisen-Zeiten. Die Interventionen sind gewissermaßen Reflexionen des Status Quo und der Zukunft der Europäischen Union. Mit meinen minimalistischen Schwarz-Weiß-Zeichnungen setze ich mich mit komplexen Themen auseinander, wie etwa die Rolle des Individuums als Bürger der EU, und eröffne ironische Perspektiven, aber auch einen Anstoß, die Europäische Union neu zu denken.“ (Aldo Giannotti)
Borjana Ventzislavova
Borjana Ventzislavova hinterfragt eine europäische Identität
Die Künstlerin platziert großformatige Neon-Schriftzüge auf den Dächern und Fassaden von drei zentralen Gebäuden der Stadt: dem Bahnhof, dem Rathaus und dem Landtagsschiff. Die Lichtinstallationen sind inhaltlich mit der Funktion der Orte, wo sie montiert sind, fest verbunden – so thematisiert der Schriftzug „Ihr Name ist Europa. Sie kam über das Meer“ den Transitraum Bahnhof als einen Kristallisationspunkt der Migration. Ventzislavovas Interventionen evozieren Fragen einer europäischen Identität und führen gleichzeitig vor Augen, dass es kein einfaches Unterfangen ist, Antworten zu finden. Durch die von der Handschrift inspirierten Schriftbilder und die Offenheit ihrer Fragen und Feststellungen wird die Stadtlandschaft mit „Textschwingung“ aufgeladen und erhält so einen poetischen Charakter.
„Das Friedensprojekt Europa (...) ist sowie auch die ganze Welt, in eine tiefe Krise geraten. Der aktuelle Pandemie-Zustand stellt die Europäische Union zunehmend in Frage. Meine Licht-Installationen im öffentlichen Raum beschäftigen sich mit Grundfragen unserer Gemeinschaft und deuten auf ein ernstzunehmendes Umdenken hin. Es liegt in unseren Händen, ob wir uns für die Demokratie in Europa einsetzen oder sie zerfallen lassen werden. Solidarität innerhalb der EU und gegenüber Nicht-EU Bürger*innen, Transparenz, Egalität, ein soziales, offenes und internationales Europa, sind nur einige der Gedanken, die mich bei den Überlegungen für dieses Projekt begleitet haben. Es ist Zeit uns die Frage zu stellen, in was für einer Welt wir leben wollen - in dieser kann Europa hoffentlich noch der sprichwörtliche Leuchtturm werden. Let’s all participate in this, it’s about us.“ (Borjana Ventzislavova)