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Karl-Heinz Klopf :
Eine Stufe mehr

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Beendet
Karl-Heinz Klopf, Eine Stufe mehr, Orth, 2022
© Joanna Pianka; Bildrecht, Wien
Karl-Heinz Klopf, Eine Stufe mehr, Orth, 2022
© Joanna Pianka; Bildrecht, Wien
Karl-Heinz Klopf, Eine Stufe mehr, Orth, 2022
© Joanna Pianka; Bildrecht, Wien
Orth a.d. Donau, 3.7.2022 – 1.11.2022
museumORTH, Schloßplatz 1, 2304 Orth an der Donau

Information

Ein tausendjähriges Schloss, darin ein Turmzimmer mit einem offenen Kamin – die örtliche Situation der Installation Eine Stufe mehr weckt leicht romantische Klischeevorstellungen wie im Märchen. Karl-Heinz Klopf spielt zwar am Rande auch mit einer klischeehaften Idee – nämlich derjenigen des Spukschlosses –, setzt aber insgesamt mit seinem Projekt ganz woanders an.

Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass in einem historischen Gebäude wie Schloss Orth bauliche Veränderungen über die Jahrhunderte hinweg immer über Additionen, über Hinzufügungen vorgenommen werden, sodass sich letztlich im Bauwerk ein Konglomerat an Schichten abbildet, die wie in einer archäologischen Grabung als Ablagerungen vergangener Zeiten erkennbar bleiben. Daran anschließend dachte Klopf das in seinem Grundriss und seiner Struktur eigenartige Turmzimmer weiter und entwickelte ein Konzept für eine weitere Schichtung, die den Raum neu erschließt: Er verband die zwei übers Eck gelegenen Durchgänge mit einem Podest, das die Besucher*innen wie auf einem Laufsteg durch den Raum führt: eine Stufe mehr eben. Zugleich wurden die Handläufe der Auf- und Abgänge durch ein teils offenes Gerüst verkleidet, das Einblicke in die darunter liegenden Elemente erlaubt. Platten, die entlang des Stegs und neben den Gerüsten montiert wurden, fungieren dabei als Träger für die weiteren Ausstellungsobjekte, zwei Zeichnungen aus der Serie Land Works sowie die Videoarbeit Attic Mystery Tour. Eine weitere Collage hängt an einer Wand, aber sonst spielt sich die ganze künstlerische Intervention entlang der in situ entwickelten Konstruktion ab.

Der Künstler sensibilisiert uns durch diese Maßnahme für die baulichen Elemente des Schlosses, indem er auf Details (Handläufe) und Besonderheiten (die Treppen) hinweist. Er lenkt unseren Blick quasi über den Umweg dieser beiläufigen Details auf die zugrunde liegende Struktur. Dass es dabei auch um die Funktionalität solcher Ergänzungen geht, sei nur am Rande erwähnt. Eine Stufe mehr ist eine Reflexion über Raum, Zeit und Funktion in der Architektur.

Dazu passen die Arbeiten aus der Serie Land Works, die ebenfalls eine Meditation über räumliche Strukturen und die Verteilung von Flächen im Raum darstellen. Auch hier sind Schichten erkennbar: Aus einer natürlich getrockneten Tuschelandschaft schnitt der Künstler verschiedene Formen aus und tauschte sie durch ein exaktes Gegenstück an anderer Stelle des Blattes aus. Diese spezielle Montagetechnik erinnert an traditionelle Handwerksverfahren wie die Intarsientechnik. Das kunstvolle, dekorative Einlegen verschiedener Hölzer auf einer planen Oberfläche stellt auch eine Referenz an Klopfs Familienhintergrund dar, die Berufe der Eltern – Schneiderin und Tischler – haben den Sohn geprägt, der so schon früh mit der Vielfalt von Schnitttechniken in Berührung kam.

Karl-Heinz Klopf beschäftigt sich generell in seiner Arbeit mit der gebauten Umgebung, mit der Stadt oder mit dem öffentlichen Raum. Einige seiner filmischen Arbeiten hat er außergewöhnlichen Einzelbauwerken gewidmet. Im 2013 entstandenen Film Tower House porträtiert er ein avantgardistisches japanisches Betonhaus über die zentrale Stiege, die alle sechs Stockwerke des auf sehr kleinem Grundriss errichteten Hauses miteinander verbindet, indem er sich mit einer rotierenden Kamera die Stufen hochschraubt. Im Film TESTA wiederum widmet sich Klopf mit der Argentinischen Nationalbibliothek in Buenos Aires von Clorindo Testa einer brutalistischen Beton-Ikone und bringt uns das Gebäude über seine Hülle näher. Und im Film A Tropical House, in dem das Privathaus des indonesischen Architekten Andra Matin im Zentrum steht, folgt er den einzelnen Betonelementen im Gebäude.

Klopf zeigt uns selten die totale Einstellung auf das große Ganze – einer Kameraeinstellung, die ein unterwerferisches Blickregime voraussetzt. Seine Bilder haften an den Details, an scheinbar Nebensächlichem – in den Teilen, die in Summe das Ganze konstituieren. Er bewegt sich mit seiner Kamera vielmehr entlang der Baulogik und der inneren Struktur der Häuser und verbindet diese auch mit dem sehr persönlichen Blick seiner Bewohner*innen, die in einer Off-Stimme zu hören sind. Diese Bevorzugung des Fragments gegenüber der Totalen wirkt wie ein Bekenntnis zu einer Welt, die in keinem Moment als etwas Endgültiges betrachtet werden kann. Ständig bewegt sie sich weiter, und ständig unterliegen die Dinge und wir selbst einer Veränderung. Und in diesem Sinn ist auch die In-situ-Installation für Schloss Orth ein Bekenntnis zum Blick für das abseits des Mainstreams gelegene Geschehen.

Und jetzt ein wichtiger Nachtrag: Der Bruch – und ich würde sagen, zusammen mit dem Humor ist auch dieser typisch für Klopfs künstlerische Herangehensweise –, der Bruch mit der Stringenz eines Konzepts wird im großartigen Video Attic Mystery Tour erfahrbar. Hier kommt der mehrere Jahrhunderte alte Dachstuhl von Schloss Orth ins Spiel, ein mehrstöckiger Gebäudeteil, den so nie ein Mensch gesehen hat. Wie eine Retro-Entdeckerin in einem Zeitreise-Film schickt Klopf eine Kameradrohne über das Holzgebälk des Dachstocks unter dem Giebel hindurch. Sie startet über dem Turmzimmer und fliegt über und zwischen den Balken quer durch den Dachstuhl zum zweiten Turm, bevor sie wieder den Rückflug antritt. Es ist nicht nur der buchstäbliche Staub der Zeit, der einen in dieser etwas gespenstischen Erkundungstour erschauern lässt. Es ist sicher auch nicht der friedliche Geist des Schlosses. Aber es ist der seltsame Blick des Kameraauges aus einer maschinellen Apparatur, welche die Präsenz des Menschen als Marginalie voraussetzt. In einem 1996 erschienenen Aufsatz[1] über die Erinnerungskultur in Bezug auf die Landung der Alliiertentruppen im Juni 1944 in der Normandie schreibt Paul Virilio von der „Industrialisierung des Vergessens“, womit Virilio die mediale Massenverwertung dieses Ereignisses meinte. Und so erinnert mich dieser Drohnenblick, der zwar in vergangene Schichten eintaucht und alles sieht, aber nichts kontextualisiert, auch an unsere gespenstische Geschwindigkeit, mit der wir historische Ereignisse vergessen, weil sie in unseren medialen und Online-Exzessen schlicht industriell vernichtet werden.

Patricia Grzonka

[1] Paul Virilio, The Avant-Garde of Forgetting. In: A Landscape of Events. MIT Press, Cambridge/MA, London, 2000 (1996)

Mitwirkende

Kuration

Bilder (4)

Karl-Heinz Klopf, Eine Stufe mehr, Orth, 2022
© Joanna Pianka; Bildrecht, Wien
Karl-Heinz Klopf, Eine Stufe mehr, Orth, 2022
© Joanna Pianka; Bildrecht, Wien
Karl-Heinz Klopf, Eine Stufe mehr, Orth, 2022
© Joanna Pianka; Bildrecht, Wien
Karl-Heinz Klopf, Eine Stufe mehr, Orth, 2022
© Joanna Pianka; Bildrecht, Wien