Mona Hahn
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SICHTBLICK Fünfzig Jahre Gemeinde Gerasdorf bei Wien
Mona Hahn Fünf Großplakate im öffentlichen Raum von Gerasdorf
Ein Interview mit Mona Hahn von Susanne Neuburger
S. N.: Die Gemeinde Gerasdorf hat sich ja sehr kurzfristig im Juni 2004 dazu entschlossen, anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens im Oktober 2004 in die geplanten Festveranstaltungen auch künstlerische Beiträge mit einzubeziehen. Mein erster Vorschlag, einen Fotowettbewerb zu veranstalten bzw. sich auf Fotografie zu konzentrieren, stieß dann insofern auf Interesse, als seitens der Gemeinde bereits an einen Fotowettbewerb gedacht worden war. Angesichts der ausufernden Vorstellungen und Projekte, die neben einer Ausstellung zu Kultur, Geschichte und Raumplanung diverse Festvorträge und Feiern sowie ein Literatursymposium beinhalteten und teilweise nichts oder wenig mit dem Ort zu tun hatten, waren deine fotografischen Interventionen (und auch der Fotowettbewerb) sehr konzentriert auf den Ort bezogen. Du selbst hast dich ja auch sehr kurzfristig bereit erklärt mitzumachen und von allem Anfang an den Balanceakt zwischen der Gemeinde, ihren Vertretern und uns miterlebt. Wie hast du die spezielle Situation in Gerasdorf wahrgenommen?
M. H.: Wie bereits von dir erwähnt, war durch die enorme Kurzfristigkeit bei diesem Projekt meine erste Frage: Schaffe ich es in diesem Zeitraum, mit einer Arbeit dem Anlass der Einladung gerecht zu werden? In diesem, wie du es ausdrückst, "Balanceakt" zwischen den verschiedenen Beteiligten liegt eine der Herausforderungen von Kunst im öffentlichen Raum, der ich mich sehr gerne stelle. Letztlich ist das, was später als "Endprodukt" entsteht, nur zum Teil meine Arbeit. Es ist ein Zusammenwirken aller Beteiligten, d. h., meine Arbeit beschränkt sich nicht auf einen Entwurf und dessen möglichst reibungslosen Produktionsablauf, sondern hängt in einem nicht zu unterschätzenden Ausmaß davon ab, wie groß meine Bereitschaft oder Fähigkeit ist, mich auf diese Strukturen einzulassen. Dies ist nicht vorhersehbar, da sich bei jedem Projekt die Kooperationseinheiten ändern, wobei sich natürlich auch in diesem Bereich Erfahrungswerte einstellen.
S. N.: Du hattest ja – innerhalb von Niederösterreich – schon die Erfahrung von Etsdorf, wo du im Rahmen von "Zweite Runde" 2001 eine Arbeit gemacht hast. Gab es dort eine vergleichbare Situation?
M. H.: Meine Arbeitsmethodik betreffend war die Situation in Gerasdorf der in Etsdorf ähnlich: Es handelte sich um ein temporäres Kunstprojekt im öffentlichen Raum, bei dem es keinerlei thematische Vorgaben gab und die Ortswahl innerhalb der Gemeinde freigestellt war. Diese Vergleichbarkeit kam mir sicherlich hinsichtlich des relativ straffen Zeitplans zugute. Ich konnte in der Entwurfsphase, während der Produktion sowie hinsichtlich der ausführenden Firmen auf meine Erfahrung in Etsdorf zurückgreifen. Nicht vergleichbar waren die Organisationsbedingungen, in die das Projekt eingebettet war: In Etsdorf handelte es sich um ein Gruppenprojekt mit mehreren Künstlerinnen und Künstlern, das bereits zum zweiten Mal von der Gemeinde Etsdorf bzw. einer dort ansässigen Kulturinitiative organisiert wurde. Es gab sowohl von Seiten der Organisatoren als auch von Seiten der ansässigen Bevölkerung einen anderen Umgang mit Kunst im öffentlichen Raum, der nicht zuletzt einem hohen Vermittlungsaufwand der Landesregierung Niederösterreich zu verdanken war. In Gerasdorf schien man hingegen zwar Erfahrung mit permanenter Kunst im öffentlichen Raum zu haben, jedoch weniger mit einem temporären Projekt. Diese Trennung ist insofern bedeutsam, als bereits mein erster Arbeitsschritt innerhalb eines Entwurfs von dieser Unterscheidung abhängig ist. Ortswahl, Material und nicht zuletzt die inhaltliche Themenstellung sind durch diese Unterscheidung bedingt. An der Reaktion der Bevölkerung in Gerasdorf war auszumachen, dass sie bisher wenig Kontakt zu Kunst hatte, die irgendwo auftaucht, um wieder zu verschwinden. Beim Aufbau der Plakate war das zentrale Gesprächsthema, mit dem ich konfrontiert wurde, dass man die Plakatwände allseits für kommerzielle Werbeflächen hielt. Überraschend war das hohe Toleranzniveau der Ansässigen diesem Umstand gegenüber. Teilweise hatte ich zentrale Orte der Gemeinde gewählt, wie beispielsweise eine öffentliche Parkanlage im Ortskern von Gerasdorf, bei der eine langfristige Erlaubnis einer kommerziellen Nutzung mittels eines Werbesujets eine eindeutige Beeinträchtigung der üblicherweise für gesellschaftliche Aktivitäten genutzten Anlage bedeutet hätte.
S. N.: Der Titel "Sichtblick", der ja von dir stammt, gibt schon die Richtung an, sowohl für den Fotowettbewerb als auch für deine Arbeit: Gibt es Blicke primärer Erfahrung und inwieweit sind sie schon medial gebrochen wie bei dir durch die Windschutzscheibe? Im Nachhinein finde ich die Kombination des Fotowettbewerbs, die vielen Fotos von vielen Menschen und deine fünf Großbilder, spannend. Leider wissen wir nicht, ob das im Ort, d. h. in den einzelnen Ortschaften, auch wahrgenommen wurde. Hat sich der eine oder andere doch darauf eingelassen? Oder fand er sich eher in der Metaebene der Festveranstaltungen aufgehoben?
M. H.: Das stimmt, es ist in diesem Fall nicht auszumachen, in welchem Verhältnis die eingereichten Fotoarbeiten zu meinen Arbeiten standen, da wir keine direkte Kommunikation mit den Beteiligten hatten. Aber vielleicht im Gegensatz zu dir finde ich es sehr beruhigend, dass der Einfluss meiner Plakate sich nicht in den gewählten Sujets des Wettbewerbs widerspiegelte, im Gegenteil, ich fürchte, es hätte mich in tiefe Zweifel gestürzt, wenn beispielsweise fünf Einreichungen ihre Motive durch die Windschutzscheibe fotografiert hätten. Nicht auszudenken!
S. N.: Die Windschutzscheibe war jedoch nicht nur ein Mittel für Fragen zu Wahrnehmung, Optik, Motiv, Größe usw. Sie war auch insofern eine Art von Ortsangabe, als man den Ort als fahrend zu erschließenden interpretieren konnte.
M. H.: Kürzlich wurde ich in einem ähnlichen Interview zu einem anderen Projekt nach der etwaigen Schlüsselgeschichte oder -erlebnis gefragt, das zu meinem Entwurf führte. Im erwähnten Beispiel existierte keine solche Geschichte. Von der ersten Ortsbegehung zum Entwurf gibt es in meiner Arbeitsmethodik unterschiedliche Wege. Die berüchtigte Anfangsanekdote ist eher selten, doch im Fall von Gerasdorf gibt es sie tatsächlich: Zu einem der ersten Treffen der Beteiligten in einem Gasthaus in Gerasdorf fand ich zu meiner Freude sofort einen Parkplatz auf der gegenüberliegenden Straßenseite, doch zwischen Einparken und Verlassen des Autos vergingen etliche Minuten, da es mir durch das hohe Verkehrsaufkommen nicht möglich war, meine Wagentür zu öffnen. Daraus ergab sich später die Idee, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Gerasdorf den meisten ohnehin nur als Durchgangsort durch die Windschutzscheibe bekannt zu sein scheint, und diese Perspektive auch innerhalb meiner Arbeit durchzuhalten. Wie symptomatisch diese Anfangsgeschichte war, wurde mir klar, als ich mich mit Einzelheiten der Geschichte dieser Gemeinde beschäftigte. Wie bereits erwähnt, war der Anlass der Einladung „50 Jahre Gemeinde Gerasdorf“, zuvor gehörte es zu Wien und besaß keinen Stadtstatus. Meiner persönlichen Einschätzung nach sind die gefeierte Unabhängigkeit von Wien und der Umstand, dass Gerasdorf zu einer der kapitalstärksten Gemeinden Niederösterreichs gehört, nicht kritiklos zu betrachten, da die hohe Durchgangsverkehrsfrequenz sich zu einem großen Teil aus der überproportionalen Gewerbenutzung des Gemeindeeigentums ergibt.
Ein recht hoher Preis für vermeintlichen Reichtum.
S. N.: Ich komme noch einmal zu deiner Entscheidung zurück, fünf Großplakate an markanten Stellen im Ort zu affichieren. Oft sind ja die Gemeinden sehr groß, und einzelne Dinge gehen leicht unter. Du hattest die Plakatwände aber so gezielt gesetzt, vor dem Volksheim, auf dem großen Platz und nahe dem Kreisverkehr, und sie so offensichtlich anders positioniert, als es die Werbung üblicherweise macht, dass hier keine Gefahr des Nicht-Beachtens gegeben war. Mit welchen Strategien gingst du oder gehst du an eine solche Sache heran?
M. H.: Zwar gab es keine inhaltliche oder örtliche Vorgabe, doch das Medium Fotografie stand bereits fest, bevor ich in die Planung mit einbezogen wurde. Da wir dieses Interview mehr als eineinhalb Jahre nach der Realisierung führen, kann ich nur meinen momentanen Blick auf die Verwendung von Großbildplakaten innerhalb der Kunst im öffentlichen Raum schildern. Heute würde ich diese so nicht mehr einsetzen – so viel Raum für Selbstkritik muss sein! Nicht zuletzt die Reaktion der Gerasdorfer ließ mich zu dem Schluss kommen, dass Großbildplakate sich nicht aus dem Kontext der Werbung bzw. aus der Wahrnehmung der Betrachter innerhalb desselben lösen lassen, unabhängig von gewählter Ästhetik oder Sujet – was auch die kürzlich in Österreich geführte Debatte zu den Euro-Plakaten hinlänglich beweist. Auch andere Projekte, die eine Vereinnahmung dieses Formates im öffentlichen Raum durch die Werbeindustrie mittels Gegenvereinahmung zu unterwandern oder auch nur kenntlich zu machen suchen, scheinen mir eher nur zu einer Vereinnahmung des vermeintlich Vereinnahmenden zu führen. In meiner künstlerischen Produktion werde ich wohl bis auf weiteres auf die Verwendung von Großbildplakaten im öffentlichen Raum verzichten.
S. N.: Eine erste Idee des Fotowettbewerbs sah vor, mit der Einladung für den Fotowettbewerb Einwegkameras an alle Haushalte zu liefern, eine Idee, die aufgrund der Kosten scheiterte, jedoch so gelöst wurde, dass sich Interessierte Kameras – es waren zirka 250 Stück – bei der Gemeinde abholen konnten. Unter dem Motto "Innen, außen und woanders" versuchten wir, die Bürger von Gerasdorf zu eigenen Bildern zu ermutigen, wobei die Thematik als Hilfestellung gedacht war und ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht wurde, dass auch nur eine Kategorie bedient werden könnte. Erlaubt waren alle Arten von Fotografie im Format 10 x 15 cm. Die Einreichungen waren sehr unterschiedlich … Wie war der Weg von den Fotos, die dann ja auch in der großen Festausstellung zu sehen waren, bis zum Memory-Spiel, das du ja betreut hast?
M. H.: Erfreulicherweise gab es trotz der auch für die Einreichenden bestehende Kurzfristigkeit eine rege Beteiligung am Fotowettbewerb, und durch die Offenheit der Vorgaben fiel die Motivwahl sehr unterschiedlich aus. Das Memory-Spiel, von Architekt Mrazek angeregt und als Gemeindepräsent für offizielle Anlässe gedacht, gab uns die Möglichkeit, nicht nur den drei prämierten Fotos, sondern einer Vielzahl von Einreichungen eine langfristige Öffentlichkeit innerhalb der Gemeinde zu verschaffen.
S. N.: Wenn es der Bürgermeister tatsächlich – wie vorgesehen – als Werbe- und Gastgeschenk benützt, finde ich es eine sehr gelungene Sache. Ansonsten hielt sich ja die Begeisterung durchaus in Grenzen. Dass "Devil 7" vor mir herfuhr, als ich nach der recht deprimierenden Schlussveranstaltung nach Wien zurückfuhr, schien mir schon ein Wink des Schicksals. Ich werde Gerasdorf – durch die Windschutzscheibe – im Auge behalten.