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Markus Wintersberger :
Eutopia Körperland.tanzhaus.medienboulevard

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Beendet
St. Pölten, 2004 – 2005

Information

Mediale Raumszenografie für das Regierungsviertel St. Pölten

Konzept, Produktion, Video: Markus Wintersberger
Performance: Stephanie Cumming, Julia Mach
Sound: Alois Huber
Installation: 22. Juni bis 11. Juli 2004

Der Ort der Performance EUTOPIA verkörpert die politische Macht des Landes Niederösterreich. In den Bauvolumen des Regierungsviertels manifestiert sich – mit Foucault gesprochen – die Sichtbarkeit einer Ordnung, während das Sagbare dieser Ordnung sich in den Gesetzestexten und Verwaltungsvorlagen zeigt, die von den Beamten dieser Macht befolgt und ausgeführt werden. So weit eine konventionelle Lesart des Staatsapparates, auch wenn diese natürlich keineswegs der politischen Wirklichkeit entspricht, die ja bekanntlich von einem Schwund des Lokalen und Nationalen zugunsten eines Globalen ausgeht, die von den Asymmetrien der neuen Macht berichtet, die sicherlich nicht topografisch fixiert werden kann, wie ja auch von einem asymmetrischen Krieg des Terrors gesprochen wird, der jederzeit und überall sich auswirken kann. Zeitgenössische Macht ist zentrumslos, hat keinen privilegierten Ort. Doch vielleicht bedarf es ja gerade in Zeiten wie diesen – als eine Art Kompensation – der vertrauten monumentalistisch und zentrisch gebauten Symmetrie landespolitischer Gebilde, die den "Normalzustand" beschwören. Markus Wintersberger nennt seine Arbeit EUTOPIA. Der Begriff "Eutopie" verweist auf die "normale Lage aller Elemente". Im Gegensatz zur viel öfters in Gebrauch stehenden "Dystopie" geht die Eutopie davon aus, dass an diesem Ort "alles in Ordnung" sei – "eu" ist griechisch und bedeutet "gut", also "wird alles gut" mit und an diesem Ort des Regierungsviertels in St. Pölten. Und das ist kein schlechter Ausgangspunkt, um alles Weitere zu bedenken. Es ist davon auszugehen, dass Macht ihren Institutionen zwei Formen unterlegt. Zum einen formt oder organisiert sie Materien: Schule, Klinik, Gefängnis und eben auch ein solches Regierungsgebäude sind geformte Materien, die jeweils eine bestimmte Ordnung oder Logik der Sichtbarkeit ausbilden. Zum anderen formt oder finalisiert sie Funktionen, gibt ihnen Ziele vor: überwachen, erziehen, kontrollieren, verwalten. D. h., Macht ist weniger Eigentum einer bestimmten Partei als vielmehr eine Strategie des Formens, sie hat kein Wesen, sondern ist operativ, geht Verhältnisse, machtvolle Beziehungen ein, ist stets – mit Foucault gesprochen – ein "Diagramm", eine abstrakte Maschine. Und diese abstrakte Maschine ist natürlich nicht identisch mit dem Raster, der Geometrie und Geografie des Regierungsviertels. Es ist anstrengend genug, das Nicht-Sichtbare der Macht zu denken, warum sie auch noch überzeichnen, symbolisieren oder gar dekonstruieren? Also rekonstruiert Markus Wintersberger den Landhausboulevard, und zwar als Wire-Frame-Modell, eine Raumgitterskulptur, wie sie sich von jedem Rechner errechnen lässt, um eine bestimmte Wirklichkeit nach dessen eigenen Gesetzen zu modellieren. Die Raumgitterskulptur lässt nur das Gerüst oder die Strukturen erkennen, Strukturen, die eine Devotion einer nun schon alten Baulogik sind, die des rechtwinkligen, starren, kubischen, festungsartigen Bauens. Das Gerüst entkleidet den Baukörper und offenbart seine konstruktionslogischen Voraussetzungen: das funktionale Denken, das rationalistische Pathos der frühen Moderne, Ordnungswille, bestimmender, autoritärer Wille der Macht, ganz ein bisschen verkleidet mit postmoderner Attitüde. (Das genaue Gegenteil davon wäre etwa die gläserne Kuppel des Berliner Reichstages, die vom Volk bespielbar ist und eine gewisse Nähe zur Politik evoziert.)

Das wäre die eine Lesart. Die andere lässt sich vielleicht mit einem schönen Gedanken von Michael Polyani einleiten. "Das mit seinem Gegenstand strikt inkompatible Rahmenwerk des Kunstwerks zieht uns in eine Erfahrung hinein, die jenseits der Natur wie der menschlichen Praxis liegt, und das Verstehen und die Aufnahme von Kunst bestehen eben darin, dass wir uns von ihr in ihren eigenen transnaturalen Bereich führen lassen. Die Kunst informiert uns nicht über ihren Gegenstand, sondern lässt uns in ihm leben ..."
Polyani hat diesen Gedanken an der Malerei, dem Theater und der Poesie überprüft. Im Falle von EUTOPIA aber tritt die Idee des Rahmenwerkes in eine eigentümliche Äquivalenz zum Werk selber. Denn das Werk ist ja ein Rahmenwerk, ist als Werk eine konstruktivistische Struktur, ist also sehr wohl kompatibel mit seinem Gegenstand. Nein, ist es nicht. Denn gerade das Transnaturale verführt auch in diesem Fall den Leser bzw. Betrachter in eine Zone der Erfahrung jenseits baulicher und politischer Praxen. Das Transnaturale, das sind in EUTOPIA die Eukliden, also die tanzenden Körper. Ihr Tanz ist kein Tanz im herkömmlichen Sinne, es ist eher ein befremdliches, beinahe unheimliches Abgehen der – euklidischen – Raumkoordinaten. Die Körper werden zu einer Art Verlängerung der Architektur. Oder umgekehrt: Die Proportionen der Architektur spiegeln sich im Maß der Körper. Der Körper als Maß aller Dinge? Die Renaissance hatte damit gespielt, allerdings war die Voraussetzung nicht der empirische Körper, sondern der ideale, der transnaturale. Indem also die Tänzerinnen den Baukörper als Korrespondenz zu ihrem eigenen Körper im Sinne eines projizierten Ideals redefinieren, stellen sie gleichzeitig das Rahmenwerk des Objektes in eine eigentümliche Ferne zum gebauten Bestand. Dieserart gelingt auch der Wahrnehmung der Betrachter das von Polyani beschworene imaginäre "Wohnen" im Gegenstand der Kunst. Ich überlasse allen Beteiligen, welcher Position sie eher zustimmen, der Position der Macht oder jener eines transnaturalen Wohnens in der Kunst. Ich versuche eine Vermittlung von beiden.
Indem Markus Wintersberger sich nicht mit einer Rekonstruktion begnügt, sondern das Modell mit Tänzern, mit Musik bespielen lässt, erstellt er Versuchsanordnungen, die die Lebbarkeit, die Beweglichkeit, die Veränderbarkeit von Einzelnem und Machtdiagramm austesten. Die Musik unternimmt dabei, so Alois Huber, ein "environment-coaching" mit schweren, von Anton Bruckner bis Aphex Twin reichenden Klangarchitekturen. Landschaft wird mit Tönen gecoacht, diese wirken akustisch auf sie ein, befragen und verstärken sie musikalisch. Auch hier wird der Betrachter, der Zuhörer sich nicht teilnahmslos distanzieren, sondern den Rhythmus als seinen eigenen auf- und wahrnehmen und der Kunst genau jenen Part zurückgeben, den das "‚ich empfinde' des Gehirns als Kunst" artikuliert (Gilles Deleuze).

"Performance" nennt man eine solche prozesshafte Liaison aus Objekt, Musik und Tanz. Mit Jacques Derrida gesprochen ist Kunst "performativ" in dem Sinne, dass sie nicht einfach nur „Bilder“ übermittelt, sondern durch die Wiederholung etablierter Praktiken, Diskurse oder Bewegungsgewohnheiten Handlungen, Akte vollzieht. Das Performative hat als Begriff und als ästhetische Praxis die Gegenwart in Beschlag genommen. Wo man auch hinschaut, überall performative Akte. Es scheint, als ob die Zeit reif ist für das Individuum, sich seiner Handlungsmacht, seiner „agency“, zu versichern. Nicht so sehr wird bloß konstatiert, dass es Macht, politische wie ökonomische gibt, vielmehr wird in Mikro-, in Minimalbewegungen so etwas wie Gegenmacht ausgetestet. Sicherlich überwiegt im tanzenden Ausdruck dieser Mikrobewegungen, dieser minimalistischen Etüden der "medialen Raumszenographie" von Markus Wintersberger und Alois Huber noch die Unentschiedenheit, die Unbestimmtheit, die Unschärfe, das Tastend-Ausbalancierende, die langsame, schwebende Kontaktnahme mit dem Sichtbaren, die Suche nach Möglichkeiten außerhalb des Regelwerks, der ungemein diffizile Ausgleich von Tragen und Stürzen, von Halten und Fallen, die endlose Suche nach Maß, zugleich Maßlosigkeit. Der einzelne Körper wird Träger und Vollender der Architektur, sie ist Umgebendes und Verbindendes, schafft Ordnung und Kontingenz ... und das alles in EUTOPIA, also in der Gegenwart, der "Jetztheit" eines ganz normalen Ortes, eines "guten Ortes" der Macht, an dem es sich wohnen lässt!
(Marc Ries)