Kateřina Šedá
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Herzlich willkommen!
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Information
Für das Pflege- und Betreuungszentrums in Hainfeld wurde im Zusammenhang mit dem 2018 begonnenen Um- und Zubau ein spezieller Schwerpunkt auf den Garten gelegt. Der Garten liegt leicht ansteigend auf der Rückseite des Gebäudekomplexes, ist von den dort liegenden Räumen und Terrassen sehr gut zu überblicken und über eine Brücke vom Obergeschoß aus bequem zugänglich. Das für diesen Garten konzipierte Kunstprojekt sollte für die Bewohner und Bewohnerinnen einen besonderen Anreiz bieten, sich dort aufzuhalten und aktiv zu werden.
Kateřiná Šedá hat mit ihrer Arbeit, der sie den Titel Herzlich willkommen! gab, diesen Garten in einen außergewöhnlichen Ort verwandelt, indem sie für diesen eine ausgesuchte Ansammlung von Vogelhäusern entworfen und gebaut hat. Mit der alltäglichen Grußformel lässt sie sofort wissen, worum es ihr als Künstlerin dabei geht, nämlich um ein Zusammenkommen. In diesem Garten, sagt sie damit, sind alle willkommen und sollen daran Teil haben, die Menschen, die hier leben, die hier arbeiten und die hier zu Besuch kommen, aber eben nicht nur die Menschen – auch die Vögel. Das Besondere jedoch und umfassend Kommunikative an ihren Vogelhäusern ist, dass Šedá diese als Miniaturausgaben von jenen Häusern gestaltet hat, in denen einzelne Bewohner und Bewohnerinnen des Pflegeheims vorher gelebt haben.
Während der Entwicklung von Herzlich willkommen! begab sich Šedá in einen einfühlsamen und intensiven Austausch mit den einzelnen Personen, die ihr in langen Gesprächen erzählten, wo und in welchen Häusern sie gelebt hatten, und auch, was der Verlust des früheren Zuhauses für sie bedeutet. „Meine Absicht war es“, sagt sie, „die Seniorinnen und Senioren nicht nur symbolisch in ihr Zuhause zurückkehren zu lassen, sondern sie gleichzeitig zu aktivieren – und das sowohl bei der Realisierung des Projekts als auch mit der Installation, die sie aktiv besuchen können. Grundlegend war für mich, dass sie zu Co-Autor*innen der einzelnen Häuser wurden und sich ihre Erinnerungen darin widerspiegeln. Auch wenn es ein langer und schwieriger Prozess war, so brachte er eine Reihe von wichtigen Anregungen, die das Projekt sehr bereichert haben.“[1] Zugleich machte sich Šedá ausführlich mit der Vogelwelt vertraut, für die sie die Häuser entwarf. Zum einen hielt sie die einzelnen Vogelarten in feinen, naturgetreuen Zeichnungen fest, zum anderen holte sie den Rat von Fachleuten dazu ein, welche baulichen Voraussetzungen ein Vogelhaus brauchte.
Im Zuge dieses Prozesses entstand ein spannender Bogen von Wohnformen, eine ganze Typologie von Häusern – vom Bauernhaus über die Villa bis zum kleinen Einfamilienhaus, vom historistischen mehrstöckigen Stadthaus bis zum sozialen Wohnblock –, die nun alle auf das Format eines Vogelhauses gebracht in einer Art dörflichen Gemeinschaft in dem Garten versammelt sind, in der auch die im Ort vertraute Kirche und sogar das auf Vogelhaus-Format gebrachte Pflegeheim nicht fehlen. Jedes dieser Häuser hat seinen eigenen Zauber, in dem sich Šedás präzise Detailarbeit mit der künstlerisch stilisierenden Leichtigkeit verbindet, mit der sie diese für die Vögel funktionsfähig gemacht hat. Es gibt offene Dach- oder Untergeschoße oder als gleichsam zusätzlichen Balkon eine elegant geschwungene Rampe zum Landen und andere, auch mit viel Witz ausgedachte Formen von „Vogelarchitektur“.
Jedes dieser Häuser ist ein kleines Kunstwerk für sich, aber Šedá geht es um viel mehr, nämlich darum, die Menschen in ihre künstlerische Arbeit mit einzubeziehen und durch diese zu aktivieren, sowohl im praktischen als auch im visuellen Sinn. „Der Garten sollte ein Ort werden, an dem sich Leute gerne aufhalten“, sagt sie, und „genauso wichtig war auch die Sicht auf den Garten aus den Fenstern, weil vor allem im Winter viele der Seniorinnen und Senioren es nicht alleine in den Garten schaffen.“[2] Kateřiná Šedá hat seit ihren künstlerischen Anfängen bis heute bereits eine lange Reihe von Arbeiten geschaffen, deren Prinzip immer darin besteht, ein bestimmtes gesellschaftliches System, sei es die Familie, eine ganze Siedlung oder auch ein Hochhaus, in dem die Menschen anonym nebeneinander leben, so zu aktivieren und zu verändern, dass neue und bessere Formen von Kommunikation und Zusammenleben entstehen können. Mit alten Menschen zu arbeiten, hatte sie schon als Studentin begonnen, zuerst mit ihrer Großmutter Jana Šedá. Jana Šedá wurde, nachdem sie in Pension gegangen war, apathisch, wollte von nichts mehr etwas wissen und gab auf alles nur die eine stereotype Antwort, „Je to jedno“, ein ganz wörtlich übersetzt auch im Deutschen üblicher Spruch, „Es ist alles eins“, „Es ist alles egal“. Kateřiná begann mit ihr zu sprechen und zu arbeiten und brachte sie, die vorher nie in ihrem Leben gezeichnet hatte, dazu, aus der Erinnerung alle jene Artikel aufzuzeichnen, mit denen sie als langjährige Mitarbeiterin in einer großen Brünner Haushalts- und Eisenwarenhandlung zu tun hatte. Es entstanden über tausend Zeichnungen, in denen die Großmutter mit einem berührend einfachen, aber bemerkenswert treffsicheren Strich die jeweilige Charakteristik der Objekte festhielt, vom Schraubenzieher über die Bogensäge bis zum Küchensieb, und dies zudem in den damals erhältlichen jeweiligen unterschiedlichen Größen, die sie zusätzlich noch beschriftete.
Für Jana Šedá bedeutete dieses neue Arbeiten eine große Bereicherung, ihre Enkelin Kateřiná machte Je to jedno zu einem Kunstprojekt, stellte die Zeichnungen aus und veröffentlichte sie in einem eindrucksvollen Buch. [3] Das Gedicht Ich wohn’ im Haus der Möglichkeit[4] von Emily Dickinson ließe sich wie ein Motto zu Herzlich willkommen! lesen. Dickinson wurde 1830 in einer ländlichen Gegend in den USA geboren und verbrachte ihr ganzes Leben im Haus der Familie, das bereits ihr Großvater erbaut hatte. Das Haus wird bei ihr zum Gleichnis für ihre Poesie, die sie gegen die Prosa setzt:
Ich wohn’ im Haus der Möglichkeit – kein schöneres als das – mehr Fenster hat es, beßre Türen – als Prosa je besaß.
Gemächer hoch wie Zedern, in die kein Auge fällt – und als immerwährend Dach das blaue Himmelszelt.
Möchte man Emily Dickinson folgen, dann verbindet Kateřiná Šedá in ihrem Herzlich willkommen!-Projekt das Poetische mit der Prosa. Sie öffnet die Fenster und Türen für die Empfindungen, Wahrnehmungen, Gedanken und Erinnerungen. Zugleich setzt sie auch die Prosa in Gang, das Praktische, Alltägliche – und die Vögel wären, poetisch gesprochen, die Boten von einem Bereich zum anderen. Bei Dickinson heißt es:
Gar liebenswerte Gäste – und mein Geschäft ist dies – die schmalen Hände breit ich aus und sammle das Paradies.
Silvia Eiblmayr
[1] Kateřina Šedá: „Herzlichwillkommen! Projekt für das NÖ Pflege- und Betreuungsheim
Hainfeld“, in: Herzlich willkommen. Ein Projekt von Kateřina Šedá für den Garten des Pflege- und Betreuungszentrums Hainfeld, 2021, hg. v. Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich, Land Niederösterreich, Abteilung Kunst und Kultur (Hg.), St. Pölten, 2021, S. 19.
[2] Ebenda, S. 28.
[3] Kateřina Šedá: Je to jedno / It Doesn’t Matter, katalog / catalog, Brno – Lišen, 2005. Dieser Katalog wurde von K. Šedá selbst finanziert.
[4] Emily Dickinson: Ich wohn’ im Haus der Möglichkeit. Zeugnisse einer Unbehausten. Gedichte und Brief. Zusammengestellt, aus dem Amerikanischen übertragen und eingeleitet von Susanne Schaup, Herder Verlag, Freiburg, 1990.