Catrin Bolt
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dazwischen
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In Erlauf, einer kleinen Gemeinde im Mostviertel, wo einst ein amerikanischer und ein russischer General das Ende des Zweiten Weltkrieges per Handschlag besiegelten, wird seit Jahrzehnten eine außergewöhnliche Erinnerungskultur als „Friedensgemeinde“ gelebt. Mit den 1995 errichteten Denkmälern von Jenny Holzer und Oleg Komov begann in Kooperation mit KOERNOE eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte Österreichs durch die Gegenwartskunst, die sich in permanenten und zahlreichen temporären Projekten im öffentlichen Raum manifestiert.
In einem neuen permanenten Projekt lenkt Catrin Bolt unsere Aufmerksamkeit auf die offensichtlichen Grenzen dieses Friedens, auf die Situation von Menschen, die in den Flüchtlingslagern der EU auf ein Asylverfahren warten. Zeichnungen von Kindern, die in Kara Tepe auf Lesbos leben, sind im Rahmen einer Ausstellung im Museum ERLAUF ERINNERT und als Bodenarbeiten im öffentlichen Raum zu sehen.
Mit ihrem Projekt dazwischen geht Catrin Bolt an die Ränder des jährlich in Erlauf gefeierten
Friedens. Für wen gilt dieser Frieden, für wen nur vielleicht, für wen nicht? Für Menschen in
den Flüchtlingslagern der EU ist es über Monate und manchmal Jahre unklar, wann sie ein Asylverfahren bekommen und ob sie nach ihrer Flucht die Möglichkeit haben werden, in der EU zu leben. Nur die notwendigste Infrastruktur, Überbelegung und Ausgangsbeschränkungen prägen den Alltag im Lager, in dem sie für unbestimmte Zeit auf ein Verfahren warten.
Im September 2021 hat die Künstlerin im Rahmen eines Workshops über mehrere Wochen mit Kindern und Jugendlichen, die im Lager Kara Tepe auf Lesbos leben und in die Schule der NGO METAdrasi gehen, gearbeitet. Dort haben sie in Form von Zeichnungen und Malereien Orte erfunden, an denen sie sich „sicher“ und wohl fühlen.
Die Möglichkeit, sich darzustellen und etwas für sich selbst erschaffen zu können, hat viele
von ihnen inspiriert. Einige Schüler*innen haben auch gemeinsam als Team an einem Bild gearbeitet und sich mit der Gestaltung ihrer Vorstellungen genau auseinandergesetzt.
Für das Projekt in Erlauf wurden 15 der entstandenen Bilder im ganzen Ort verteilt auf dem Boden angebracht: am Markt- und Sportplatz, an der Skateboardbahn, vor dem Kindergarten, an einer Busstation und vor dem Zebrastreifen. Die verwendeten Bodenmarkierungsfarben werden üblicherweise im Straßenverkehr eingesetzt und sind über einen langen Zeitraum haltbar. So begegnen die Menschen vor Ort den detailliert nachempfundenen Kinderzeichnungen auf ihren alltäglichen Wegen, in ihrem „dazwischen“ oder auf dem „Weg wohin“, zwischen Haus und Arbeit, Auto und Geschäft, zwischen Fußball und Abendessen, beim Warten auf den Bus. Die Bilder geben hier unvermutet einer Sehnsucht Raum, indem sie Orte und Situationen zeigen, die gerade nicht greifbar sind.
Durch die Übertragung der Bilder in den öffentlichen Raum der Gemeinde begegnet man den Bildern immer wieder. Diese erscheinen im ersten Moment „nur“ als Kinderzeichnungen, eröffnen aber ein viel breiteres Spektrum an Zusammenhängen und Hintergründe unserer Gesellschaft.
Alle entstandenen Zeichnungen und Malereien sind bis 20. Oktober 2022 im Museum ERLAUF
ERINNERT zu sehen.