Isa Rosenberger
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Nový Most 2008/2019
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Information
Die Eröffnung einer „neuen Brücke“ über die Donau (auf Slowakisch „Nový Most“) in Bratislava im Jahr 1972 war ein Ereignis nicht nur von lokaler, sondern auch nationaler Bedeutung – war doch Bratislava lediglich ein Provinzhauptort des Staates Tschechoslowakei. Die Video-Arbeit mit dem gleichnamigen Titel Nový Most von Isa Rosenberger erlaubt Einblicke in „fremde“ persönliche Welten von geschichtlichen Erinnerungsmomenten. Das 17 Minuten lange Video beginnt mit historischem Filmmaterial des staatlichen Fernsehens, in dem der Bau als technisches Wunderwerk gefeiert wurde. Von hier aus hebt Rosenbergers Film jedoch ab, um den Brückenbau in der aktuellen Zeit – gedreht wurde 2008 – über die biografischen Erzählungen von drei Frauen gleichsam aus einer Nahsicht zu beleuchten. Es erzählen Mutter, Tochter und Enkelin – Generationen der Jahrgänge 1928 bis 1978 – von ihrem Bild und ihren Erinnerungen an dieses „Jahrhundertprojekt“, wie es im Film einmal heißt.
Rosenberger nähert sich den drei Protagonistinnen mit sehr viel Empathie und Zurückhaltung, auch wenn heikle Punkte wie das hierarchische Verhältnis von ehemaligem Osten und vermeintlicher Souveränität des Westens thematisiert werden. Der Film definiert sich über den Versuch, die politischen Transformationsprozesse subjektiv fassbar zu machen und dabei auch jene Grenzen der Imagination und der kollektiven Mythen zu überschreiten – oder zu überbrücken. Denn die Brücke dient in diesem Fall auch als vielschichtige Metapher: Sie verbindet nicht nur die zwei Ufer der Donau miteinander, sondern dient auch als Ausgangspunkt der Erzählungen. Der Blick schweift von hier aus in den Westen, Sehnsuchtsmomente mischen sich mit sentimentalen Erinnerungen und biografischen Fetzen. Auch die Kollateralschäden des Bauwerks, für das Teile der barocken Altstadt abgerissen wurden, werden angesprochen. So ist diese Brücke ein ambivalentes Symbol für ein neues Zeitalter der spielend leicht zu überwindenden geografischen Hindernisse, gleichzeitig ein futuristisches technisches Vorzeigeprojekt und wegen des Abrisses der historischen Altstadt, dem auch das jüdische Viertel mit einer Synagoge zum Opfer fiel, auch ein problematisches Bauprojekt der kommunistischen Ära. Es ist aber auch ein Bauwerk, das heute noch seine ursprüngliche Funktion erfüllt und dabei auch von Architekturbegeisterten einer „Ost-Moderne“ im ehemaligen Staatssozialismus gerne besucht wird.
Der Begriff des „Eisernen Vorhangs“ wird in einer zweiten Arbeit Rosenbergers, einer Fotoserie mit dem Titel Ružinov (2009) thematisiert. Als „eiserner Vorhang“ wurde im Theater die Trennwand zwischen Bühne und Orchestergraben und Publikum bezeichnet. Ružinov heißt der Stadtteil Bratislavas, in dem ein modernistischer Brunnen aus den 1960er-Jahren steht, eine von zahlreichen „Leerstellen“ im Stadtraum. Die Künstlerin befragte ZeitzeugInnen nach ihren Sichtweisen zu diesem architektonischen Monument der jüngeren Stadtgeschichte und verfasste ein Theaterstück, das den Fotografien als eine Art Bildunterschrift beigefügt ist. Die Bühne, die Aufführungspraxis sowie performative Strategien ganz allgemein stehen dabei in einem vielfältigen Verhältnis von Inszenierung, Reinszenierung und Wiederbelebung beziehungsweise Aktualisierung von Geschichte. In einer architektonischen Rahmenkonstruktion, welche die Hülle des Ufo-Cafés in Bratislava evoziert, wird im museumORTH der Blick über die geopolitische Grenze zwischen Ost und West oder vielmehr zwischen West und Ost verhandelt.
Der im Film dargestellte Blick in den Westen wird nun zu einem verbindenden Blick über die Grenze, der heute aus umgekehrter Richtung – von Orth nach Bratislava geht. Dieser Blick war auch Thema eines Workshops, den Isa Rosenberger mit sechs TeilnehmerInnen aus Orth durchführte. Die teilweise sehr berührenden Erzählungen aus der Zeit vor dem Fall des Eisernen Vorhangs wurden transkribiert und bilden als Foto- und Text-Dokumente einer jüngsten Oral History dieser Gegend ein weiteres Element der Ausstellung. Sie bleiben als Poster-Installation fixer Bestandteil der Museumspräsentation von Schloss Orth.
Patricia Grzonka
Mitwirkende
- Kuration