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Information
Der Verein MEZ veranstaltete – in Zusammenarbeit mit dem Land Niederösterreich und der Tageszeitung "Der Standard" – ein Kunstprojekt im öffentlichen Raum, und zwar im Medium Großplakat. Thematischer Anstoß und Hintergrund war das gesellschaftspolitische Motto, das die Europäische Union für 1997 gewählt hat: "Jahr gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit". Sechs ausländische, in Österreich lebende KünstlerInnen bzw. Künstlergruppen gestalteten je ein Plakat. Das Projekt wurde in einer Gesamtstreuung von ca. 800 Stück im gesamten Raum Niederösterreich realisiert. Weil die Veranstalter glaubten, dass für das heutige Österreich der Begriff Rassismus, im engen Sinne einer Rassenideologie, kaum als vorwiegendes gesellschaftliches Phänomen und Problem zu bezeichnen ist, haben sie das Thema des Projekts breiter angelegt und den eingeladenen Künstlern den Titel FREMD als inhaltliche Vorgabe gestellt. Dies erschien unter anderem deswegen sinnvoll, weil ethnisch motivierte Diskriminierung auch bloß als extremer Pol eines sozialen wie individuell-psychischen Komplexes betrachtet werden kann, dem Verhaltensweisen und Einstellungen zugehören, die durchaus Teil der gesellschaftlichen Realität hierzulande sind. Gemeint ist das Gemisch von Motiven, das von harmlosen Ressentiments gegen deutsche Touristen bis zu einzelnen Fällen des blanken Rassismus reicht, von den Witzen über den ausländischen Arbeitskollegen oder der "Überfremdung" als Schlager politischer Wahlkämpfe bis hin zur aktuellen, restriktiven Asylpolitik der Regierung und dem von ihr verantworteten, verschärften Ausländerrecht, die Österreich, "wenn es um Integrationspolitik geht, an die letzte Stelle aller westeuropäischen Staaten befördert haben" (Der Spiegel, 10.3.1997).
Mitwirkende
- Kuration
Beiträge
Otto Mittmannsgruber, Martin Strauß
"Wir bleiben unter uns!"
Von Otto Mittmannsgruber und Martin Strauß stammte ein dezidiert politisches Plakat. Wie der Entwurf von Wachsmuth sprach auch dieses Sujet die Frage des Asyls an. Hier jedoch wurde ein sarkastischer Kommentar inszeniert zur aktuellen Asylpolitik des Staates Österreich und zu der heimelig-selbstbezogenen Mentalität, die jene Politik erst ermöglicht. Der renitente - stets unausgesprochene - Slogan des Provinzialismus "Wir bleiben unter uns!" prangte groß und scheinbar affirmativ quer über der ganzen Bildbreite. Aber wie kann das sein: eine Haltung, die in der Medienwelt selbst des Kleinstaates nie öffentlich appellieren wird und immer nur unter Seinesgleichen Ausdruck findet, durfte hier protzig und groß gesetzt sich präsentieren? Der Schriftzug war hinterlegt mit dem einzigen Bildmotiv des Plakats, welches das gesmte Format einnahm: ein gewöhnliches Geschirrtuch. Das häusliche Utensil war offensichtlich gebraucht und schmutzig und dies konterkarrierte noch mehr den schreierischen Aufruf. Ein kleines, schräg gestelltes Rechteck in österreichischem Rot-Weiß-Rot bildete ein drittes Element, das in der Größe und Plazierung zuerst an die auf den Plakaten üblichen Firmenlogos erinnerte. Hier aber war ein kurzer Satz notiert, der Auskunft gibt über einen Sachverhalt der aktuellen österreichischen Asylpolitik: die Ablehnungsquote bei Asylverfahren im Jahr 1996. Das traurige Faktum ist jedoch nicht als neutrale Information gegeben, sondern in einer ironischen Wendung als Anpreisung einer Leistung umformuliert: "In diesem Jahr konnten wir ..." - mit solchen oder ähnlichen Worten beginnen positive Jahresbilanzen von Wirtschaftsunternehmen. So wurde ein dialogisches Spiel angelegt zwischen den Subjekten, dem "Wir" der beiden Sätze, das selbst einen Dialog mit dem Betrachter eröffnete. Wer sind diejenigen, die unter sich bleiben wollen, wer sind diejenigen, die 92% aller Anträge auf Asyl ablehnen. Sind die beiden "Wir" dieselben? Und wer möchte zu welchem "Wir" gehören?
Andrea Van der Straeten
Ohne Titel
Für Andrea van der Straeten bot die außerordentliche Größe des 24-Bogen Plakates ein ideales Maß, um ihre Fotografien mit grimassierenden Kindergesichtern ins Monströse zu übertragen. Bilder von Kindern gehören neben den von Tieren zu den beliebtesten "Argumentationshilfen" der Werbeprofis. Sie stehen klicheehaft fürs Unschuldige, Herzig-Liebe und dienen, in manipulativer Ausnutzung von psychischen Reiz-Reaktions-Zusammenhängen, der subtilen Verführung. Eine völlig konträre Rolle nehmen sie in diesem Plakat ein: die grimassierenden Kinder präsentieren sich in der Maske des Fremden, sie mimen die Fratzen jener, die uns Angst machen oder erheitern solche - demonstrieren das unverfälschte Verfälschte. Sie zeigen nicht ihr Selbst noch täuschen sie es vor, sie spiegeln unverhohlen das Andere. Sie sind die überzeugenden Protagonisten jenes Spiels, das mittels Imitation die Distanz der darin begründeten Kluft ausdrückt. Im Werbeumfeld deckte dieses Plakat kritisch die angestrengtesten Überzeugungsstrategien des Mediums auf. Im Rahmen des Projektthemas erinnert es eindrücklich daran, wieviel in uns von der spielerischen Neugier dieser Kinder auf das Fremde verloren gegangen ist.
John Silvis
"...kenne ich nicht..."
Die knappe Bildsprache dieses Plakates schien jener schnellen Kommunikation zugehörig, die im öffentlichen Raum die Piktogramme leisten. John Silvis hatte gezielt einen zweifachen Zusammenhang von Schrift- und Bildebenen konstruiert, und das Plakat verfolgte dementsprechend auch zwei verschiedene Arten der Wahrnehmung, die miteinander verknüpft erst ein kompexes Spiel der Bedeutung eröffneten. Dabei Stand die Betrachtung des Sujets als Ganzes und die Wahrnehmung jedes einzelnen, für sich stehenden Emblems einander gegenüber. Einerseits waren die Bildgegenstände mit Bedacht voneinander getrennt und unterschiedlich farbig hinterlegt, andererseits erschienen die einzelnen Worte, die jedem der Dinge zugeordnet waren, zusammengelesen als ein verstümmelter Satz: "... kenne ich nicht ..." Die Fokussierung allein auf diesen Satz wäre die werbemäßig simple (Slogan und Bild), jene scharfe Separierung der Bildmotive, vor allem aber auch der einzelnen Worte, legten die Suche nach einer anderen Beziehung von Wort und Gegenstand nahe. Betrachtete man die Felder einzeln, fiel zuerst der gelb-schwarz dominierte Mittelteil ins Auge: eine flach ausgestreckte Hand beherrschte die Bildfläche. Darunter war in kapitalen Lettern das Wort ICH gedruckt. Das Ich und die Hand, das kombinierte sich über das Greifen hin zum Machen und Tun - zum Handeln, zum handelnden Ich. Das linke Bild-Text-Feld zeigte eine Tischgabel, mit dem Wort KENNE verknüpft. Die Gabel, das Werkzeug und das Kennen, Wissen gehen ebenfalls zusammen als Formen des Einverleibens und des Sich-Zurechtstellens. Und beides passte zum Ich und zur Hand. Rechts war eine gegensätzliche Vorgangsweise gewählt, denn der gezeigte Gegenstand schien uneindeutig: sahen wir eine stehende Klappleiter, waren Eßstäbchen abgebildet? Was immer man imaginierte, in der Wahrnehmung dieses Feldes dominierte allein das Wort NICHT, die Negation. Hier aber blieb die Frage nach dem Objekt der Negation. Was wurde verneint - dieses Ding, was immer es war, oder eine geheime Bedeutung der drei Bildmotive, oder wiederholt der knappe Satz nur unser Unvermögen, den fraglichen Gegenstand zu identifizieren? Der Betrachter wurde angehalten, das Plakat erneut als Ganzes zu erfassen, das Getrennte wieder zusammen zu sehen und zu lesen. Silvis hatte eine rebusartige Struktur konstruiert, die uns in verschiedene Auslegungen verstrickte, aber letztlich unaufgelöst blieb. So nahm diese Arbeit das Projektthema als Spiel in sein eigenes Kompositionsschema auf und schloß es gleichzeitig ein in eine Sprache, die sowohl der Werbung wie auch der Kunst eigen ist.
Simon Wachsmuth
Ohne Titel
Simon Wachsmuth lieferte ein reines Textplakat. In alter hebräischer Quadratschrift ist eine Passage aus der Thora gegeben und zwar jene Stelle, die sich mit dem Recht auf Asyl befaßt. Das Textfragment war war in formaler Hinsicht ein zweitesmal fragmentiert - übergroß ins Format gestellt wurden die Zeilen beschnitten, manche Zeichen fehlten ganz -, aber so, daß ein Schriftkundiger die Stelle noch lesen, das Fehlende ergänzen konnte. Eine Übersetzung ins Deutsche war - ganz klein gesetzt - im rechten unteres Eck plaziert und nur von Nahem zu lesen. Übersetzung des hebräischen Texts (Einheitsübersetzung, 1980), Altes Testament, Deuteronomium, 23/16 u. 17: "Du sollst einen fremden Untertan, der von seinem Herrn bei dir Schutz sucht, seinem Herrn nicht ausliefern. Bei dir soll er wohnen dürfen, in deiner Mitte, in einem Ort, den er sich in einem deiner Stadtbereiche auswählt, wo es ihm gefällt. Du sollst ihn nicht ausbeuten." Das Plakat wurde in der Region Krems gestreut. In Krems war vor der Nazizeit die größte jüdische Gemeinde in Niederösterreich ansässig.
Claudia Lutze
"Mental Map Europe"
Claudia Lutzes drei Plakatsujets stehen im Zusammenhang eines Projekts, das die Künstlerin schon vor einiger Zeit begonnen hatte und dessen Ende nicht absehbar ist: in verschiedenen Städten Europas wurden Personen angesprochen und gebeten, in selbstgewählter Form auf das Worttriple "mental map Europe" zu reagieren. Es entstanden Gespräche auf Tonbändern, es wurden die unterschiedlichsten Materialien zusammengestellt, schriftliche Antworten gegeben, und es wurden "geographische" Skizzen angefertigt. Drei solchermaßen erworbene, kleine Zeichnungen fanden sich innerhalb dieser Plakataktion, ins Großformat aufgeblasen, wieder und wurden im niederösterreichsichen Grenzland affichiert. Schon ein erster Blick zeigte, daß die fragilen Skizzen, die hier Europa nachzeichneten, anderen Gesichtspunkten folgten, als die Erinnerung an den Schulatlas oder die aktuellen politischen Landkarten der Nachrichtenstudios uns vorgeben. Europa zeigte sich da als Stückwerk aus geographischen Kürzeln; die gewohnten Grenzen gerieten ins Fließen, Trennlinien verliefen anders. Die Zeichnungen wurden von Personen aus verschiedenen Regionen Europas hergestellt - am unteren Bildrand wurde dazu, unter Angabe von Zeit und Ort, ein dezenter Hinweis geliefert. Als Dokumente sprachen die Skizzen für sich, als Plakate im öffentlichen Raum erlangten sie eine zusätzliche Wirkungsebene.
Christy Astuy
"Ohne Titel"
Drei Frauen, mehr oder weniger bekleidet, vor Berglandschaft mit Wasserfall und alpenländsicher Architektur: Das Plakat von Christy Astuy überraschte erst einmal durch die Opulenz der Mittel, die Farbenpracht in der malerischen Darstellung. Gerade im Umfeld des Plakatmediums entfaltete sich - auch weil auf jeden Schriftzusatz verzichtet wurde und der Entwurf sich auf rein bildnerische Mittel beschränkte - eine Wirkung, die dort ganz ungewöhnlich ist. Andererseits bediente sich das Sujet gängiger Klischees - Berglandschaft, Wasserfall, für den Bildungsbürger auch der Bezug zum bekannten Motiv aus der griechischen Mythologie - und näherte sich so einem Kontext der Werbung, die ausschließlich in Stereotypen spricht. Auch der verwendete Collagestil - der landschaftliche Hintergrund entstammte einem Stich aus dem 19. Jahrhundert, die Figuren wurden Gemälden der Künstlerin entnommen - machte die Gesamterscheinung des Bildes "plakativ" und erzeugte einen subtilen Kontrast. Die drei Frauenfiguren waren malerische Porträts. Sowohl in formaler Hinsicht, der malerischen Gestaltung, wie im mimischen Ausdruck der Porträtierten zeigten sie ein Maß an Individualität und Intimität, das in diesem Medium sonst nicht anzutreffen ist. Die Figuren waren groß und prominent ins Format gestellt. Aber sie standen voneinander getrennt, für sich allein und das Bild vermittelte so gewissermaßen ein Pathos des Einzelnen, der je individuellen Frau. Im Zusammenhang des Gesamtprojekts gesehen, bezog dieses Plakat Stellung für ein striktes Prinzip des Individuellen. Es plädierte für den Einzelnen und dessen Wert, jenseits seiner Herkunft und Zugehörigkeit.