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Bertha von Suttner Revisited

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Beendet
Harmannsdorf, Jun 2009 – Sep 2009

Information

Die Ausstellung "Bertha von Suttner Revisited" zeigt im Schüttkasten, in der Orangerie, im Park des Schlosses sowie im Ortsbereich Harmannsdorf Arbeiten von zehn internationalen KünstlerInnen, die in Bezug zu den Ideen und dem kosmopolitischen Weltbild der österreichischen Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner (1843-1914) stehen. Begleitet von der Historikerin und Suttner-Forscherin Laurie Cohen wird die politische und kulturelle Arbeit Bertha von Suttners als Rahmen aufgefasst, ohne die Person Suttners ins Zentrum zu stellen bzw. bereits bekannte und festgeschriebene Geschichtsdarstellungen zu wiederholen. Vielmehr wird Suttners Tätigkeit als Schriftstellerin, Friedensaktivistin und Frau als ein offenes Bezugsfeld weit reichender Themen und Ideen gesehen, das sich in den einzelnen Projekten abbildet. Geschichte wird nicht als kontingente Erzählung von Abfolgen und Ereignissen verstanden, sondern es ist der minoritäre Blick Suttners, der eine Gemeinsamkeit herstellt. Bezüge zur Biografie Suttners sind vor allem mit dem Ort gegeben: Schloss Harmannsdorf war Bertha von Suttners Wohnort nach ihrer Rückkehr aus dem Kaukasus 1885. Als renommierte Schriftsteller kehrten Bertha und Arthur von Suttner nach Österreich zurück und lebten bis zu Arthur von Suttners Tod 1902 in Harmannsdorf. Die Harmannsdorfer Jahre waren von einer regen Tätigkeit als Friedensaktivistin und Schriftstellerin bestimmt. Ihr größter literarischer Erfolg „Die Waffen nieder“ erschien 1889. 1905 erhielt sie den Friedensnobelpreis. Heute ist das Schloss in Privatbesitz und Sitz des Internationalen Bertha von Suttner Vereins, der im neu renovierten Schüttkasten Ausstellungen und Konzerte veranstaltet. 

Eine Kooperation von Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich mit dem Internationalen Bertha von Suttner Verein und der Marktgemeinde Burgschleinitz-Kühnring. 

Mitwirkende

Kuration

Beiträge

Isa Rosenberger, Maja Bajević

Isa Rosenberger und die aus Sarajevo stammende Künstlerin Maja Bajevic thematisieren in ihren Arbeiten den Jugoslawienkrieg und zeigen darin die Traumata und Wunden für Generationen auf. Der dreiteilige "Women at Work"-Zyklus ist für Maja Bajevic ein komplexer Versuch einer Annäherung und Aufarbeitung des Jugoslawienkriegs unter Einbeziehung von bosnischen Flüchtlingsfrauen. Schauplätze sind das Baugerüst der im Wiederaufbau befindlichen Nationalgalerie in Sarajevo ("Under Construction", 1999), das Château Voltaire in Frankreich ("The Observers", 2000) sowie ein Hamam in Istanbul ("Washing Up", 2001). Die Handarbeit der Frauen wird an andere Orte und in andere Zusammenhänge transferiert, wenn sie im Hamam die ideologischen Sprüche von Tito so lange waschen, bis die Wäschestücke zerfallen. In Anlehnung an Frans Hals entsteht ein Gruppenbild, das auch als Anspielung an das Versagen der holländischen Sicherheitskräfte als UN-Beobachter in Srebrenica im Juli 1995 gelesen werden kann. 

Zbyněk Baládran, Jiri Kovanda

Mit Jiri Kovanda, der am Eröffnungsabend eine Performance inszenierte, und Zbyněk Baladrán nahmen auch zwei Künstler aus Prag, der Geburtsstadt Bertha von Suttners, deren Mädchenname Kinsky war, am Projekt teil. Im Auftrag von Kovanda führte Katarina Uhlirová eine versteckte Schminkaktion in den Toiletten durch, die durch minimalistische Geste und Assoziationen zu Gendertausch der Erwartungshaltung der BesucherInnen zuwiderlief. Mit "Archive Building" von 2008 erschuf Zbyněk Baladrán ein linguistisches System, das als Projektion in der Orangerie gezeigt wurde. Während eines dreimonatigen Aufenthalts in Warschau recherchierte Baladrán in Archiven nach politischen Slogans von Demonstrationen und Protestbewegungen von 1968 bis in die Gegenwart. So wurden 150 sehr unterschiedliche Slogans gesammelt, die manchmal diametral zu den übrigen, eine Debatte oder einen öffentlichen Diskurs bestimmenden stehen. Baladrán isolierte diese Begriffe, indem er sie einzeln auf Papier schrieb und wie Wäschestücke auf einem roten Faden zu einer versponnenen Installation befestigte. Er entwickelte durch die abstrakte Sprache ein System, das bildhaft und poetisch eine wissenschaftliche Arbeitsweise darstellt und durchaus auch geeignet ist, sich der Vergangenheit bewusst zu werden.

Madeleine Bernstorff

Zur Eröffnung der Ausstellung "Bertha von Suttner Revisited" zeigte die Filmkuratorin Madeleine Bernstorff ein Programm von (Anti-)Suffragettenfilmen. Anfang des 20. Jahrhunderts eroberte die Bewegung für das Frauenwahlrecht, die Suffragettenbewegung, auch das Kino. Auf den Straßen der großen Städte Europas und Amerikas war eine Kraft spürbar geworden, die Ängste provozierte und nicht mehr zähmbar schien: Da organisierten sich doch tatsächlich Frauen, noch dazu oft die wohlbehüteten des Bürgertums, und reklamierten ihr Recht auf Mitwirkung am Aufbau einer demokratischen Gesellschaft. 1913 saßen schon mehr als 1000 Suffragetten wegen ihrer politischen Aktionen im Gefängnis. Die Filme aus den Jahren zwischen 1906 und 1913 wurden am Eröffnungsabend als 35-mm-Projektionen im Park vorgeführt, begleitet, wie in der Stummfilmzeit üblich, von einem Pianisten (Gerhard Gruber). Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch junge Filmindustrie entdeckte die Suffragettenbewegung als dankbares Material für die Unterhaltungsindustrie. Bertha von Suttner, war keine Klassenkämpferin und Suffragettin, betonte aber immer wieder in ihren Romanen, die sie anfänglich an ihre Klasse adressierte, die Forderung nach Eigenständigkeit von Mädchen und Frauen. In ihren späteren Lebensjahren hatte sie Kontakte mit der Suffragettenbewegung, vor allem in der Zeit ihrer sechsmonatigen Amerikatournee (von Los Angeles bis Boston). Bertha von Suttner engagierte sich hauptsächlich mit der diplomatischen Durchsetzung, Finanzierung und Veröffentlichung der Friedensbewegung, organisierte und besuchte Weltfriedenskonferenzen und Kongresse und hatte als aktive Frau Spott und Kritik ebenso zu verkraften. Dies wurde in den von Laurie Cohen ausgewählten und kommentierten Karikaturen aus der damaligen Presse deutlich, die in der Ausstellung zu sehen waren. Wie in den zwischen 1906 und 1913 entstandenen Suffragettenfilmen zeigte sich der Umgang mit dem Typ der politisch aktiven Frau, den auch Suttner beispielhaft verkörperte.

Christa Biedermann

Christa Biedermann persifliert in ihrer comicartigen Wandzeitung "Antimilitarismus-Comix" von 1979/80 die Rüstungsindustrie und den Militärdienst aus der Perspektive der österreichischen feministischen Friedensbewegung der 1970er-Jahre. Als Aktivistin einer feministisch orientierten Friedensbewegung ("Frauen für den Frieden") ist Christa Biedermann in den 1970er-Jahren mit diversen Projekten an die Öffentlichkeit getreten. In ihren wie Comics gestalteten Federzeichnungen bezieht sie sich auf Wettrüsten und den Kalten Krieg. In ihrem Film "Die Mauer", 1989–1991, geht Christa Biedermann dem Auflösen einer Grenze nach, nämlich der Berliner Mauer, die in der Nacht von Donnerstag, den 9. November auf Freitag, den 10. November 1989 nach über 28 Jahren "fiel". Biedermann hat in einem "dokumentarischen Impressum" diesen Prozess vom Dezember 1989 bis Oktober 1991 an markanten Punkten wie dem Checkpoint Charly, dem Potsdamer Platz oder dem Brandenburger Tor festgehalten.

Pauline Boudry, Renate Lorenz

In der Arbeit von Pauline Boudry und Renate Lorenz fand sich ebenso wie bei Madeleine Bernstorff eine zeitliche Anbindung. Die Hauptdarstellerin ist eine Hausangestellte zur Zeit Königin Viktorias, einem Zeitraum, in dem auch Bertha von Suttners Engagement und Lebensweise nicht unbedingt in die engen Regeln des konservativen Adels passte. Sie und ihr Mann waren fortschrittliche Denker und Kämpfer gegen Krieg und den aufkeimenden Antisemitismus. Der Film "normal work" von 2007 reinszeniert vier historische Fotografien der Hausangestellten Hannah Cullwick, auf denen diese Posen einnimmt, die verschiedene gesellschaftliche Positionen von Klasse, „Race“ und Geschlecht durchqueren. Neben ihrer Tätigkeit als Putzfrau produzierte Cullwick eine Reihe von inszenierten Fotografien des sehr neuen Mediums, umfangreiche Tagebücher und Briefe. Hannah Cullwicks Porträts und Selbstporträts, die sie nicht nur als Hausangestellte, sondern auch in „Class Drag“ oder „Ethnic Drag“ zeigen, waren Teil eines sadomasochistischen Verhältnisses, in das sie mit Arthur Munby, einem Mann der adeligen Klasse, in einer ungleichen, anstößigen Verbindung involviert war.

Laurie R. Cohen

Bertha von Suttner engagierte sich hauptsächlich mit der diplomatischen Durchsetzung, Finanzierung und Veröffentlichung der Friedensbewegung, organisierte und besuchte Weltfriedenskonferenzen und Kongresse und hatte als aktive Frau Spott und Kritik ebenso zu verkraften. Dies wurde in den von Laurie Cohen ausgewählten und kommentierten Karikaturen aus der damaligen Presse deutlich, die in der Ausstellung zu sehen waren. Wie in den zwischen 1906 und 1913 entstandenen Suffragettenfilmen zeigte sich der Umgang mit dem Typ der politisch aktiven Frau, den auch Suttner beispielhaft verkörperte.

Chto Delat

Chto Delat, eine russische Künstlergruppe, analysiert in Brecht’scher Manier die jüngste russische Vergangenheitsbewältigung von 1991 in einer Satire: Perestroika-Songspiel „The Victory over the Coup" von 2008. Mit Nikolaj Černyševskijs 1863 erschienenem Roman „Čto Delat’" ("Was tun?") war Bertha von Suttner nachweislich schon in der Zeit im Kaukasus in Berührung gekommen, die nicht nur Lenin zu seinen gleichnamigen Schriften inspirierte, sondern auch der Künstlergruppe den Namen gab. „Was tun?“ war als Aufruf zu weit reichenden gesellschaftlichen Veränderungen wie Sozialismus und Frauenemanzipation angelegt, so wie Bertha von Suttners 1889 erschienener Roman "Die Waffen nieder!" als Aufruf zur weltweiten Abrüstung.

Ilona Németh

Obwohl es sich beim „Mittelpunkt Europas“ um eine messbare Größe handeln könnte, zeigt die in Bratislava lebende Künstlerin Ilona Németh mit dem Billboard „Die Mitte Europas“ (2006) auf, dass die meisten Nationen Europas im Laufe der Geschichte für sich in Anspruch nahmen, ebendieser Mittelpunkt Europas zu sein. Diese Tatsache stellt sie mit einem durchaus ironischen Blick auf einer Landkarte Europas dar und nennt auch fallweise das Datum der übertriebenen Behauptungen, die oft mit den politischen Aufbruchssituationen Hand in Hand gehen, wie etwa im Fall der Slowakei, die 1992, kurz vor ihrer Unabhängigkeit, in Kremnica ein entsprechendes Denkmal errichtete.

Société Réaliste

Eine Grammatik der Grenze entfaltet sich in den beiden Billboards "LIMES New Roman" von 2009 des in Paris arbeitenden Künstlerduos Société Réaliste (Jean-Baptiste Naudy und Ferenc Grof). Die Künstler verwendeten für das Zitat ein von ihnen erdachtes Alphabet, das kryptografische "LIMES New Roman", in dem sie für die Buchstaben Grenzlinien verwenden. Die Idee geht auf das "Utopiensium Alphabetum" des Rechtsgelehrten Thomas More zurück und bildet konkret wie im übertragenen Sinn ein referenzielles System für die vielen historischen wie aktuellen Grenzen – vom Limes des Römischen Reichs über den Eisernen Vorhang und die Berliner Mauer bis hin zu den Separationen in Belfast, Macao usw. Das verschlüsselte Zitat in der analemmatischen Form "Die Zukunft ist die Fortsetzung der Vergangenheit unter Einbeziehung anderer Mittel" bezieht sich auf den oft heute noch angewandten Satz des Militärhistorikers Carl von Clausewitz "Krieg ist die Fortsetzung der Politik unter Einbeziehung anderer Mittel".

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