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Julia Gaisbacher :
Weikendorf

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Julia Gaisbacher, Weikendorf, 2024
© Julia Gaisbacher
Julia Gaisbacher, Weikendorf, 2024
© Julia Gaisbacher
Julia Gaisbacher, Weikendorf, 2024
© Julia Gaisbacher
Julia Gaisbacher, Weikendorf, 2024
© Julia Gaisbacher
Julia Gaisbacher, Weikendorf, 2024
© Julia Gaisbacher
Weikendorf, 5.10.2024 – 6.4.2025
Rathausplatz 1, 2253 Weikendorf

Information

Die Ausstellung im Kunstraum ist rund um die Uhr von außen einsehbar und jeden ersten Sonntag im Monat von 15.00 bis 16.00 Uhr von innen zu besichtigen!

Vom Gestern im Heute - Zu Julia Gaisbachers Projekt Weikendorf

„Ich möchte das alte Weikendorf sehen“ – dieser Wunsch stand am Anfang von Julia Gaisbachers Projekt. Der Kunstraum Weikendorf, der seit Juni 2007 existiert, wurde vom österreichischen Künstler Michael Kienzer konzipiert und über zehn Jahre hinweg von ihm auch künstlerisch betreut. Julia Gaisbachers Projekt ist bereits die 36. Ausstellung in dem vom Feuerwehrhaus zum Kunstraum adaptierten Gebäude, das an der Seitenwand über eine Fixverglasung verfügt, die es allen Interessierten das ganze Jahr über und zu jeder Tageszeit erlaubt, die gezeigten Ausstellungen zu besuchen. Der Kunstraum Weikendorf ist ein Best-Practice-Beispiel dafür, wie Kunst im öffentlichen Raum unter Einbeziehung der lokalen Bevölkerung funktionieren kann.

Die Medien der 1983 in Graz geborenen und in Wien lebenden und arbeitenden Künstlerin Julia Gaisbacher sind Fotografie und Film, sie arbeitet recherchebasiert und oft auch mit kunsthistorischen Referenzen. Ihr künstlerisches Schaffen kreist dabei vorrangig um die Themen Urbanismus und Wohnen, dafür beobachtet und dokumentiert sie über einen langen Zeitraum hinweg verschiedene bauliche und strukturelle Veränderungen. Zeit ist für Gaisbacher – das trifft auch auf das schlicht Weikendorf betitelte Kunstprojekt zu – ein überaus wichtiger Faktor.

Eingeladen dazu wurde die Künstlerin von einer Jury, deren Mitglieder ihren Lebensmittelpunkt in Weikendorf und Umgebung haben. So kam Julia Gaisbacher im Vorfeld immer wieder in die niederösterreichische Marktgemeinde und entwickelte nach und nach – von dem pensionierten Architekten Robert Hanel aus besagter Jury unterstützt – ein Gefühl für die Struktur und Architektur des Ortes, um dies in der Folge in fotografische Bilder fließen zu lassen. Im Ausstellungsraum manifestieren sich die Ergebnisse in Form von Aufnahmen, die einerseits als sich gegenüberstehende fotografische Reihen und andererseits als Wandtapete an der Stirnseite des Ausstellungsraums gezeigt werden.

Mittels Fotografie schafft Julia Gaisbacher damit architektonische Porträts eines Ortes im Wandel: Menschen sind hier keine auszumachen, dennoch ist der „human factor“ omnipräsent – als erbauende, benutzende und bewohnende Instanz der gezeigten Bausubstanz. Durch die Art der Aufnahme, die Ausarbeitung und blockhafte Hängung der Prints schafft die Künstlerin eine sensible wie klare Charakterisierung eines Ortes, wobei es nicht um die Darstellung individueller Züge geht, sondern um die Erzeugung von Bildern, die stellvertretend für viele Gemeinden im ländlichen Raum stehen können.

Modernisierung und Technologisierung haben auch vor Weikendorf nicht Halt gemacht. Diesen Veränderungen, die seit den 1960er-Jahren stattgefunden haben, bzw. inwieweit sie heute noch im Ortsbild sichtbar sind, spüren die fotografischen Bilder nach. Weikendorf, das Mitte des 11. Jahrhunderts gegründet wurde, ist heute eine Gemeinde mit ca. 2.000 Einwohnerinnen und Einwohnern und gehört zum Bezirk Gänserndorf. Der fundamentale Wandel, welchen die Gesellschaft in den letzten 150 Jahren erfahren hat, die Veränderung von einer Agrar- zu einer Dienstleistungsgesellschaft, lässt sich unmittelbar an den gegenwärtigen dörflichen Gegebenheiten ablesen: Die örtliche Landwirtschaft ist deutlich zurückgegangen, auch gibt es fast keine Gasthäuser bzw. sozialen Treffpunkte mehr – das agrarisch geprägte Dorf hat sich zu einer Pendlergemeinde entwickelt. Die fotografierten Häuser, stumme Zeugen unserer Geschichte und Lebensform, sind heute großteils Wohnhäuser, die sich sorgfältig gegenüber ihrem Nachbargebäude abgrenzen. Nicht umsonst zeigt die Stirnwand des Kunstraums die Aufnahme eines Gartenzauns – gewissermaßen ein Sinnbild für diese Entwicklung.

Julia Gaisbacher hat sich für Weikendorf besonders vom Werk zweier Kunstschaffender leiten und inspirieren lassen: einerseits von Elfriede Mejchar (1924–2020), einer österreichischen Künstlerin, die unter anderem die Simmeringer Haide fotografiert und Bildnisse von Kulturlandschaften geschaffen hat. Über ihre Motivation sagte Mejchar: „Mich interessieren nicht so sehr die Menschen, sondern das, was die Menschen machen, ihre Spuren, ihre Orte.“[1] Mejchar war fast 40 Jahre für das Bundesdenkmalamt tätig und hat in verschiedenen Werkserien bauliche Veränderungen und Baudenkmäler in einer Art und Weise festgehalten, die gern als „dokumentarisch“ bezeichnet wird, was ihrem Stil aber nur bedingt gerecht wird. Vielmehr hat sie, im Geiste des deutschen Fotografenehepaars Bernd und Hilla Becher, künstlerische Zeitdokumente geschaffen und dabei einen sachlichen und genauen Stil, manchmal mit leicht experimentellem Einschlag, verfolgt.

Der zweite künstlerische Anknüpfungspunkt von Julia Gaisbacher ist der US-amerikanische Künstler Paul Strand (1890–1976), der als einer der einflussreichsten Fotografen des 20. Jahrhunderts gilt. Wenn Julia Gaisbacher auf der als Wandtapete reproduzierten Aufnahme ein Haus hinter einem bildbestimmenden Zaun zeigt, so spielt sie damit auf eine von Strands berühmtesten Fotografien an: The White Fence, 1916 entstanden und 1917 in der von Alfred Stieglitz herausgegebenen Fotozeitschrift Camera Work erstmals publiziert. Strand gilt als Begründer der „Straight Photography“, seinen unprätentiösen Blick und sein Gespür für das Außergewöhnliche im Alltäglichen, für Bildkomposition und Linienführung nimmt man in den Aufnahmen von Julia Gaisbacher ebenso wahr. Darüber hinaus teilt sie mit Paul Strand auch den medienreflexiven Zugang, den der russische Avantgardekünstler Alexander Rodtschenko als „Augenöffner“ beschrieb.[2] Etwas zu sehen geben – durch die Fotografie, die ein Sujet für bildwürdig befindet: Diese Aufgabe kommt und kam dem fotografischen Medium seit jeher zu.

Indem sich Julia Gaisbacher auf den Ort, seine Geschichte und Eigenheit wie seine soziale Interaktion, eingelassen hat, ist Weikendorf einerseits ein ortsspezifisches Projekt. Andererseits wird durch die Entscheidung für Schwarzweißbilder und das komplexe Zusammenspiel aus Architektur und Fotografie, Vergangenheit und Gegenwart der Diskurs aber auch auf eine höhere, allgemeingültigere Ebene gehoben. Die Fotografie lenkt unseren Blick bewusst auf das Gestern, das im Heute immer noch deutlich sichtbar ist.

Lisa Ortner-Kreil

[1] Elfriede Mejchar zitiert nach Elfriede Mejchar. Ein Leben mit Fotografie, in der Fernsehreihe butterbrot von Harald Burger, Nr. 17 (2010). Vgl. Anton Holzer u. a. (Hg.), Elfriede Mejchar. Grenzgängerin der Fotografie, Ausst.-Kat. Landesgalerie Niederösterreich, Krems, u. a., München 2024, S. 32.

[2] Zitiert nach Bernd Stiegler, Bilder der Photographie. Ein Album photographischer Metaphern, Frankfurt am Main 2006, S. 69. Der Autor analysiert hier Paul Strands bahnbrechende Aufnahme Blind Woman, die eine blinde Zeitungsverkäuferin zeigt, und schreibt dazu: „In der Geschichte der Photographie gibt es zumindest ein Bild, das nicht nur die Blindheit zum Gegenstand hat, sondern auch in eigentümlicher Weise das Sehen der Photographie auf die Probe und in Frage stellt“ (S. 67).

Bilder (10)

Julia Gaisbacher, Weikendorf, Ausstellungsansicht, 2024
© Joanna Pianka
Julia Gaisbacher, Weikendorf, Ausstellungsansicht, 2024
© Julia Gaisbacher
Julia Gaisbacher, Weikendorf, 2024
© Julia Gaisbacher
Julia Gaisbacher, Weikendorf, 2024
© Julia Gaisbacher
Julia Gaisbacher, Weikendorf, 2024
© Julia Gaisbacher
Julia Gaisbacher, Weikendorf, 2024
© Julia Gaisbacher
Julia Gaisbacher, Weikendorf, 2024
© Julia Gaisbacher
Julia Gaisbacher, Weikendorf, Ausstellungsansicht, 2024
© Julia Gaisbacher
Julia Gaisbacher, Weikendorf, Ausstellungsansicht, 2024
© Julia Gaisbacher
Julia Gaisbacher, Weikendorf, Ausstellungsansicht, 2024
© Julia Gaisbacher