Stadt aufmöbeln
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Dorfkorrespondenz
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Demokratie braucht Raum!
Über die Bedeutung von Impulsen zur Stärkung öffentlicher Räume
Öffentliche Räume sind vieles. Pragmatisch betrachtet, sind sie Orte, an denen sich Menschen aufhalten, sich (un)absichtlich mit anderen treffen oder durch die sie sich hindurchbewegen. Wie sie gestaltet sind, hat auf das Verhalten der Menschen und wie sie den Ort kategorisieren, einen sehr großen Einfluss. Ideell gesehen, sind öffentliche Räume Spiegel und Bühnen unserer Gesellschaft und des gemeinsamen Lebens. Sie erzählen Geschichte(n), sie sind das Fundament gemeinschaftlicher Werte, demokratischer Teilhabe und Zeugnis gelebter Baukultur. Doch was passiert, wenn diese Räume veröden und sie ihre Rolle als Herzstück des alltäglichen Lebens verlieren? Wie kann eine Gegenentwicklung aussehen in ländlichen Gemeinden? Genau hier setzt die künstlerische und partizipative Intervention Dorfkorrespondenz im und rund um den Kunstraum Weikendorf an.
Der öffentliche Raum ist jener Raum, der uns allen gehört und der das Gegenteil vom privaten Raum ist. Im antiken Griechenland wurde dieser Raum mit einem konkreten Begriff versehen: Agora. Die Agora war der Ort, an dem sich das Leben bündelte – ein Platz für Handel, Austausch, Treffen und Diskussion. Hier wurden Entscheidungen getroffen, Konflikte gelöst, Gemeinschaft geformt. Der öffentliche Raum war das Zentrum des demokratischen Lebens. Auch die Römer erkannten dessen Wichtigkeit und entwickelten das Forum Romanum als Zentrum weiter. Gebäude für Verwaltung und Rechtsprechung säumten die Plätze; Denkmäler und Brunnen markierten ihre Bedeutung. Der öffentliche Raum war nicht nur funktionaler Treffpunkt, sondern auch ein Ort der Repräsentation und des kollektiven Handelns.
Wie steht es um die ideellen Funktionen des öffentlichen Raums heute? Der Philosoph Robert Pfaller beschreibt in seinem Buch Wofür es sich zu leben lohnt, wie sich das soziale Leben zunehmend ins Private zurückzieht. Öffentliche Räume würden veröden und ihre Funktionen verlieren. Sie würden selten mehr als Bühne wahrgenommen, auf der wir uns begegnen, streiten, aushandeln und gemeinsame Werte leben. Doch genau das ist essenziell für die Demokratie: das Sich-Zeigen, das Sich-Auseinandersetzen mit anderen.
Interventionen wie die Dorfkorrespondenz leisten essenzielle Beiträge zu einer Trendumkehr, weil sie nach Wegen suchen, den öffentlichen Raum als lebendigen Ort zurückzugewinnen. Die Urbanistin Christina Schraml und der Designer Martin Färber von der Initiative „Stadt aufmöbeln“ haben sich im Frühjahr und Sommer 2024 dem Rathausplatz von Weikendorf zugewandt. Mit ihrer Intervention haben sie nicht nur ein Zeichen gesetzt, sondern auch einen wertvollen Prozess angestoßen.
Ihre Intervention fand auf zwei Ebenen statt: einerseits mit eigens gestalteten Objekten am Rathausplatz in Weikendorf – sogenannten „geselligen Möbeln“ –, mit denen sie physische Anreize zum Verweilen und Interagieren schufen. Andererseits sammelten sie – gewissermaßen als Metaebene – Geschichten der Dorfbewohnerinnen und -bewohner, verteilten Postkarten mit Fragen und luden zur Dorfversammlung ein. Die gesammelten Stimmen und Geschichten wurden im Kunstraum präsentiert, der zu einem lebendigen Archiv des gemeinsamen Dialogs wurde.
Eine weitere Frage, die das Projekt begleitete, lautete: „Wo und was ist das Zentrum?“ Diese simple Frage ist nicht leicht zu beantworten. In vielen ländlichen Gemeinden haben Zersiedelung, Bevölkerungsrückgang, erhöhte Mobilität und eine schrumpfende Infrastruktur dazu geführt, dass traditionelle Ortskerne an Bedeutung verloren haben. Wie können diese Orte wieder zu lebendigen Mittelpunkten werden? Welche ungenutzten Potenziale schlummern in diesen öffentlichen Räumen, und was braucht es, damit sie wieder zur Bühne werden?
Kunst im öffentlichen Raum in ländlichen Gemeinden ist eine Antwort auf diese Fragen. Sie schafft beispielsweise Anlässe zum Dialog und Treffen, regt zum Nachdenken an und lädt die Menschen ein, sich mit ihrem Umfeld auseinanderzusetzen.
Der Kunstraum Weikendorf bietet dafür eine besondere Plattform. Es ist großartig, wie hier seit 2007 künstlerische Positionen gezeigt werden, die sich auf den Ort und sein Umfeld beziehen. Diese enge Verbindung zwischen Kunst und Gemeinschaft macht den Kunstraum zu einem einzigartigen Modell, wie kulturelle Möglichkeitsräume ländliche Räume bereichern können.
Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass der öffentliche Raum ohne Menschen, die ihn nutzen, leer bleibt – physisch und symbolisch. Die Interventionen von Christina Schraml und Martin Färber haben einen mutigen und wundervollen Weg aufgezeigt, wie solche Räume wieder mit Leben gefüllt werden können. Gleichzeitig haben sie deutlich gemacht, wie wichtig es ist, diese öffentlichen Räume in ländlichen Gemeinden zu schützen und weiterzuentwickeln. Wenn wir sie aktiv gestalten und nutzen, schaffen wir nicht nur Orte, an denen wir uns wohlfühlen – wir gestalten auch unsere Gesellschaft.
Isabel Stumfol
KUNSTRAUM & JURY WEIKENDORF
Seit 2007 steht der vom Künstler Michael Kienzer konzipierte und initiierte Kunstraum Weikendorf für Projekte, die sich mit der besonderen Struktur dieses von außen einsehbaren Ausstellungsraums und den spezifischen, regionalen Fragestellungen auseinandersetzen. 2013 wurde die Weikendorfer Jury, als Bindeglied zwischen Kunstschaffenden und der Bevölkerung gegründet. Seit über 10 Jahren beteiligt sich diese Gruppe ehrenamtlicher Kunstinteressierter mit großem Engagement an der Auswahl der künstlerischen Positionen und an der Umsetzung und Kommunikation der Ausstellungen vor Ort. Zweimal jährlich werden künstlerische Positionen gezeigt, die auf den Kunstraum, den Ort und sein umfeld unterschiedlich eingehen. Zahlreiche Kunstschaffende von Hans Schabus, Gerwald Rockenschaub über Georgia Kreimer, Anita Witek, Luiza Margan bis hin zu Robert Gabris und Elisabeth Falkinger uvm. Haben für den Kunstraum ortsspezifische Auseinandersetzungen konzipiert und umgesetzt.