Gemeinsame Sache
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Information
Reinsberg ist eine Gemeinde mit verschiedenen Geschwindigkeiten. Beim schnellen Durchfahren umfängt einen die Geborgenheit einer Nachkriegssommerfrische: Malerisch eingebettet in eine hügelige Landschaft, mit vielen grünen Wiesen und Mischwald, Schafen und Rindern und Einzelhöfen in sonnigen Lagen. Bei ausführlicheren Streifzügen lässt sich aber auch ein anderes Reinsberg wahrnehmen, das durch intelligente Dorferneuerungsprojekte, durch Selbstvermarktung biologischer Produkte und ungewöhnlicher Kulturprojekte seine geschlossene Lage zu überwinden versucht. Fast alljährlich gibt es Künstlersymposien, Skulptureninstallationen, Ausstellungen und Internationale Musik- und Literaturfestivals. Über all dem steht gleichsam als schützender Schirm, die mittelalterliche Burgruine, die von den Rheinsbergern in jahrelanger Arbeit eigenhändig instandgesetzt und als gemeinsames Kulturforum reaktiviert wurde. Als Abschluß dieses Prozesses wurde die unkonventionelle Burgarena eröffnet, über der ein kreisförmiges Zeltdach schwebt, das von einem ausgedienten Autokran getragen wird. Nicht überall stieß die extrovertierte Architektur von Johannes Zieser im Ort auf Verständnis und nicht von allen wird die dynamische Aktivität der Kulturveranstalter mit gleicher Emphase mitgetragen, doch die überregionale Aufmerksamkeit ließ auch manche Skeptiker auf das neue Wahrzeichen stolz sein.
In diesem Ort der Ungleichzeitigkeiten zwischen wirtschaftlichen und kulturellen Offensiven und traditioneller Behäbigkeit plazierten Hubert Lobnig und Iris Andraschek ihr Projekt "Gemeinsame Sache". Gemeinsam mit den KünstlerInnen haben sie sich einige Wochenenden lang im Dorf niedergelassen und sich mit den Menschen, mit dem öffentlichen Leben und den lokalen Institutionen befasst. Sie recherchierten die sozialen Alltage ebenso wie die Topographie der touristischen Selbstdarstellung: Reinsberg an der Eisenstraße, Reinsberg im Mostviertel, das Reinsberg der Biolandwirte, Reinsberg als Kulturdorf.
Mitwirkende
- Kuration
Beiträge
Iris Andraschek
"Storyboards"
Am weitesten in die Umgebung des Ortes breiteten sich die "Storyboards" von Iris Andraschek aus. An Hauswänden, auf eigens gefertigten Tafeln an Straßenrändern sowie in einem Stallgebäude war eine Serie von Fotoarbeiten zu sehen, deren Sujets mit den Laienschauspielern der örtlichen Theatergruppe und freiwilligen Akteuren erarbeitet worden waren. Es waren Bilder von Menschen in alltäglichen Situationen, teilweise mehrfach gespiegelt, farblich verfremdet, die trotz ihrer Harmlosigkeit den Betrachter nach Indizien und Zusammenhängen zu suchen veranlassten.
Leo Kandl
"Reinsberg im September"
Im Veranstaltungssaal des Gemeindeamtes hatte Leo Kandl seine Arbeiten ausgestellt. Er bat die Reinsberger über Inserate, sich für Porträts bei ihm zu melden, die er zu einem festgesetzten Tag an einem Ort ihrer Wahl machen würde. So entstand eine Fotoserie, in denen die gewünschte Selbstdarstellung der abgelichteten Personen mit der künstlerischen Haltung des Fotografen jeweils erst vereinbart werden mußte. Daher war nicht, wie der Titel der Arbeit unschuldig ankündigte "Reinsberg im September" das eigentliche Thema der Fotografien, sondern die Verhandlungen zwischen Akteuren, der Abtausch zwischen Gesten der Selbstdarstellung und der Fremdinterpretation. Kandls Arbeit zeigte darüber hinaus, welche mitunter ungewöhnlichen sozialen Dispositive aufgefunden werden können, wenn man sich auf ein fremdes Soziotop mit künstlerischen Strategien einläßt und sich abseiits vom globalen Dorf einmal mit dem realen Dorf als Metapher beschäftigt. Denn gerade weil jenes von denselben Technologien, von denselben wirtschaftlichen und sozialen Großtrends betroffen ist, werden in seiner scheinbaren Isolation Verschiebungen im sozialen und kulturellen Gefüge deutlicher sichtbar und veränderte gesellschaftliche Praxen schärfer erfahren als in der gemütlichen Unübersichtlichkeit der Großstadt.
Hubert Lobnig
"Interieurs"
Direkt in die Privat- und Arbeitsräume, in die "Interieurs" der Reinsberger drang Hubert Lobnig mit seiner Videoarbeit vor, die in einer Dorfschmiede zu sehen war. Aus den zahlreichen Visiten und Rundgängen ergab sich eine beachtliche Materialsammlung zur Bau- und Wohnkultur im ländlichen Raum. Lobnig montierte die Bilder von Scheunen, Wohnzimmern und Werkräumen sowie Außenaufnahmen sämtlicher Häuser zu einer Endlosschleife, in der sich die räumlichen Grenzen und Zugehörigkeiten wieder verwischten. Die Kamera vertrat nicht, wie man annehmen konnte, den Voyeur, sondern vielmehr den Flaneur, der durch die Räume zog und sich vom Zufall und Gelegenheitsblick führen und abschweifen ließ. Lobnigs Videoreise war in gewisser Weise prototypisch für "Gemeinsame Sache". Aus dem Durch- und Ausleuchten, aus dem Ab- und Belichten entwickelten die KünstlerInnen eine ungewöhnliche Geographie des sozialen Raums, die eben deshalb so aufschlußreich werden konnte, weil sie sich nicht von vornherein auf die Art eines Ergebnisses festgelegt hatten und die Notizen und Aufzeichnungen stets als Möglichkeit einer künstlerischen Praxis in das Werk einfließen ließen. Viele bewegten sich während ihrer Aufenthalte in Reinsberg entlang einer Art experimenteller Ethnologie, ehe sie sich für eine künstlerische Umsetzung entschieden.
Johann Moser
Ohne Titel
Vom lokalen Portrait- und Hochzeitsfotografen ließ sich Johann Moser in geliehenen Kleidern und Uniformen abbilden und stellte die Fotoreihe im Schaukasten des Gemeindeamtes aus: Johann Moser als Feuerwehrmann, als Musiker der Dorfkapelle, als Kirchgänger im Sonntagsstaat und als Miglied des Eisschützvereins im Jogginganzug. Moser griff einerseits die historische Praxis der Landfotografen auf, Menschen entweder vor Bühnenbildern abzubilden oder sie in Kleidungsstücke aus dem Kostümfundus zu stecken, aber er spielte auch auf die bis heute grassierende Maskierungsneurose an, wenn sich Besucher aus der Stadt an ihre Gastgeber anzubiedern versuchen, indem sie sich deren Embleme aneignen. Daß der Künstler die Milieus, in die er sich kleidete, aus eigener Kindheitserfahrung kennt, sich gewissermaßen zugleich als Fremder und Einheimischer in Szene setzte, daß er die Travestie an einer Stelle plazierte, wo man Werbeprospekte und Touristeninformation erwartet hätte, zeigte, wie schnell Identitäten und kulturelle Zugehörigkeiten durcheinandergeraten können, wenn es um den Zwang zur Repräsentation geht.
Constanze Schweiger
"Gemeinsame Sache"
Die Begegnung zu prolongieren, die in "Gemeinsame Sache" zwischen Künstlern und Einheimischen initiiert wurde, hatte sich Constanze Schweiger vorgenommen. Sie stellte fünf färbige Hängelampen her und übergab diese den Reinsbergern zum gemeinsamen Gebrauch an öffentlichen Orten. Damit verschränkte sich die Idee des Gastgeschenks mit der des sozialen Raumes, der am Land immer noch eine Sache von Vereinbarungen ist. Der öffentliche Raum konstituierte sich oft nur vorübergehend, in einem Wirtshaus, in der Kirche, an der Kegelbahn, ohne einen eigens dafür ausgewiesenen Platz, aber dafür rund um wärmende, lichtspendende Quellen.
Rudolf Weidenauer
"Ein Gastspiel"
Entlang des kulturellen Importes, der sich unabhängig von Erwartungen und Bedürfnissen eines lokalen Publikums standardisierte, läßt sich die Performance von Rudolf Weidenauer beschreiben, der einen Abend für die örtliche Dorfbühne arrangierte und dafür einen ortsfremden Zauberkünstler engagierte. Auf einer grell ausgeleuchteten Bühne, die auch Uneingeweihte kaum über die Tricks und Täuschungen im Unklaren ließ, absolvierte der semiprofessionelle Zauberer ungerührt sein Programm, in das er das Publikum immer wieder einbezog. Das Motiv der Begegnung zwischen Einheimischen und Fremden kehrte hier als theatraler Akt wieder - oder gar als polemische Replik auf den Status des Künstlers, von dem oft das erwartet wird, was Weidenauer an einen Kollegen aus einem anderen Fach delegiert hatte: Das Publikum zu irritieren, zu unterhalten, zu ergötzen. Auf alle Fälle resümierte Weidenauer mit der Idee des Wandertheaters, was das Projekt trotz aller Kooperationsabsichten, die der Titel suggeriert, auch gewesen ist: „Ein Gastspiel".
Moira Zoitl
"Das optimale Gewinnminimum"
Im Projektbüro hatte Moira Zoitl eine zweitelige Videoarbeit eingerichtet, die von zwei wichtigen Koordinaten landschaftlicher Aneignung ausgingen. In einem Videofilm mit dem Titel "Das optimale Gewinnminimum" spürte sie den sichtbaren und verborgenen Machtverzweigungen der Raiffeisen-Genossenschaft nach. Interviews, Inserts und persönliche Kommentare kreisten beinahe spiralenförmig um die Praxen der Macht bis hin zu deren Reinsberger Filliale, die, als ideeler Ausgangs- und Schlußpunkt zugleich, auf kleinstem Raum noch einmal dessen ambivalente Ideologie verkörperte. Obwohl sich der Film scheinbar im Genre der TV-Reportage bewegte und sich vertrauter dramaturgischer Elemente bediente, waren es die Verfremdungen, welche die subjektiven Exkurse, die Regelverstöße, die auf verblüffende Weise Gesten und Insignien der Macht, aber auch der Ohnmacht sichtbar werden ließen. In einem zweiten Video inszenierte sich die Künstlerin als Sporttouristin, radelte als Mountainbikerin über die Berge und montierte in diese Aufnahmen die Aufzeichnungen einer profesionellen Rennveranstaltung. Zoitl schlug also einen weiten Bogen von den Bildern der ökonomischen Aneignung zu jenen der körperlichen Verausgabung, vom Produktivitätsdogma zum Erlebnisdogma, thematisierte aber jene Allianzen, die den ländlichen Raum so raffiniert in die Zange nehmen. Beide Dogmen können sich ja deshalb so ungesört ausbreiten, weil sie sich zwar rustikal und naturverbunden tarnen, faktisch aber völlig entkoppelt haben von der Landschaft, die sie okkupieren.