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Gemischte Gefühle

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Beendet
Reinsberg, 26.8.2001 – 30.10.2001

Information

Reinsberg war, wie schon 1999 mit "Gemeinsame Sache", Ausgangs- und Produktionsort für das Projekt "Gemischte Gefühle". Fünf KünstlerInnen ließen sich über einen längeren Zeitraum im Dorf nieder und befassten sich mit lokalen Ereignissen, Geschichte(n), mit Menschen und Institutionen, dem öffentlichen Leben, sozialen Konfliktlinien und touristischen Selbstdarstellungsstrategien des Ortes. Der eigentliche Effekt von "Gemischte Gefühle" steckte zwischen den Zeilen. Initiiert von dem Autospengler und unermüdlichen Betreiber der kulturellen Aktivitäten im Dorf, Karl Prüller (die experimentelle Burgruine und deren Bespielung und die Betreibung der Biogastronomie ebendort ist ebenfalls seinen Initiativen zuzuschreiben), waren die gesamten Vorbereitungen und Realisationen Teil einer intensiven oben erwähnten diskursiven Operation. Eine Gruppe von KünstlerInnen zusammenzustellen, die Interesse an ortsspezifischer Kleinarbeit fanden, sich in eine interne und externe Diskussion einließen, den Schritt in ein auf dem ersten Blick verschlossenes Dorf machten, ebenda recherchiert, war speziell im Projekt Reinsberg 2001 eine permanente Gratwanderung. Verschlossenheit und Offenheit, Interesse, Diskussion und Verdeckung, offene und geschlossene Türen wechselten sich permanent ab. Durch die Nähe der Recherche und der Arbeiten am Leben im Dorf und auch aufgrund des Interesses eines Teils der KünstlerInnen, konkrete Geschichte(n) des Dorfes aufzugreifen, ergab sich die Möglichkeit von "wirklicher" Auseinandersetzung, die sonst in der Kunst nicht oft stattfindet. Eine Distanzierung vom Feld, eine Integrierung in ein geschlossenes Kunstsystem war in Reinsberg nicht möglich. Der Kreis der aufgenommenen Geschichte(n), der Beteiligten und der RezipientInnen war zu eng, um zu entkommen.

So ergab sich z.B. in der Vorarbeit von Ricarda Denzer und Barbara Kraus über die Geschichte(n) der Hofmühle eine Diskussion mit einer Familie, dem Bürgermeister, Herrn Prüller, über die Grenzen der Einbeziehung von biografischen Details in die künstlerischen Arbeiten. Konflikte traten auf, die Weiterarbeit wurde kurzfristig untersagt, in mehreren Gesprächen wurde dann aber durchaus die Wichtigkeit verstanden, die die Einbeziehung einer solchen Einzelbiografie für das Erkennen von kollektiven Prozessen hat. Das Interesse an der Lebensgeschichte und der Behandlung einer Außenseiterin im Dorf wurde plötzlich nicht mehr als voyeuristischer Akt, sondern als Aufarbeitung einer gemeinsamen Geschichte begriffen, die über den privaten, familiären Zusammenhang hinauswies. Die Situation, dass viele KünstlerInnen aus ähnlichen Dorf- bzw. Kleinstadtsituationen kamen, eröffnete eine zusätzliche Dimension. Die Beschäftigung mit Eigengeschichte(n), Erinnerungen, vermischte sich mit der Beschäftigung mit dem Dorf. Der Titel des Projektes stand programmatisch für das Projekt, seine Verfahren und seinen Verlauf; für die "Gemischten Gefühle", die auf allen Seiten aufkommen, wenn sogenannte "Fremde" in ein Dorf kommen. Das "Gemischte Gefühl", heimisch zu sein, Vertrautheit, Überschaubarkeit zu erfahren, aber auch Gegenteile davon – draußen zu stehen, schief angeschaut zu werden, zu Gemeinschaften keinen Zugang zu haben etc. -, steht dem "Gemischten Gefühl", als Künstler, interessierte junge Menschen, Eindringlinge, Fremde, Wiener (Städter) oder linke Protestierer gesehen zu werden, gegenüber. Das von den KünstlerInnen neu adaptierte ehemalige Kaufhaus Gruber im Zentrum neben der Kirche war ein kommunikativer Knotenpunkt des Projekts. Zusätzlich bildete die Hofmühle, ein historisches Haus mit viel Geschichte(n), einen zentralen Ort.

Mitwirkende

Kuration

Beiträge

Ricarda Denzer

"eigen"

Die Hofmühle ist ein unrenoviertes historisches Gebäude aus dem 16. Jahrhundert. Die Recherche rund um das Haus ergab eine Reihe von Erzählungen über die früheren Bewohner und deren Geschichte. Einzelne erlebte oder überlieferte Episoden über den alten Hofmüller und seine Tochter werden von den Dorfbewohnern in unterschiedlichen Interpretationen erzählt. Das Haus regt zu zahlreichen Spekulationen an. Die Arbeit von Ricarda Denzer mit dem Titel "eigen" bezog sich auf eine erzählte Episode aus der Biografie der Tochter. "1974 war das. Da war eine Geschichte mit einem Mann. Da kam ein Brief. Keine Handschrift. Nur ausgeschnittene Buchstaben. Da stand: An dem Tag zu der Zeit wird die Hofmühle in die Luft gesprengt. Da kam die Gendarmerie, und sie mussten raus aus dem Haus. Und nichts ist geschenen. Gar nichts" (Interviewpassage aus "eigen"). Auf einer Projektionsfläche vor der Hofmühle wurde ein vor dreißig Jahren angekündigtes Ereignis als Videoanimation durchgeführt. Die Hofmühle explodiert. Eine an Baustellentafeln erinnernde Plakatfläche vor der Hofmühle zeigte anschließend das Grundstück, auf dem die Hofmühle stand/steht. Sie hat ihr Leben lang nichts anderes gehört vom Vater als wie: "Pass nur auf, der will nicht dich, der will nur die Hofmühle" (Interviewpassage aus "eigen").

Als zweite Arbeit von Ricarda Denzer ist ein 13-minütiges Video entstanden, das mit Aufnahmen im Dorf beginnt, sich langsam der Hofmühle nähert, sie ins Bild rückt - bis sie explodiert -, dann aber mit fast statischen Bildern aus der Computeranimation kurz nach der Explosion stecken bleibt. Traumhafte Szenen mit Rauch/Nebelschwaden, die an Fantasy-Computerspiele erinnern. Dazu Stimmen aus dem Dorf über eine Frau, die anders ist, anders spricht, sich anders verhält, sich nicht anpassen will oder kann - krank ist -, ausgegrenzt und in letzter Konsequenz ausgeschlossen wird, verschnitten mit einer Sprecherinnenstimme, die kurze Ausschnitte aus Märchenerzählungen, die aus einem alten Heft der Frau stammen, wiedergibt.

Hilde Fuchs

"Reflektorzone"

Das Gehen in Aufmärschen und Prozessionen stand im Mittelpunkt der mehrteiligen Installationen von Hilde Fuchs mit dem Titel "Reflektorzone". Das Projekt bezog sich auf dorfgemeinschaftliche Ereignisse, wie sie z.B. an kirchlichen Feiertagen stattfinden. Besonderes Augenmerk fiel dabei auf Prozessionen und Umzüge. Im Gegensatz zu der Bewegung der Menschen stehen dabei starre Strukturen und Einrichtungen, wie die rhythmisch gesetzten Montagelöcher am Rande der Straße, in die bei der Fronleichnamsprozession Birkenäste gestellt werden. Diese ziehen sich, obwohl nur einmal im Jahr im Einsatz, entlang der Prozessionswege durch das Dorf. In der Installation von Hilde Fuchs wurden diese Montagelöcher mit rohen Birkenstämmen in der Höhe von Straßenpfeilern, mit rot/weißen Reflektoren versehen, bestückt. Auf ihre obere Schnittseiten wurden Fotografien von diversen historischen und aktuellen Prozessionszügen geklebt. Im Kaufhaus Gruber wurde eine Diaprojektion mit im Dorf gesammelten Bildmaterial von historischen und aktuellen Umzügen einer aktuell erstellten Fotoserie von Gesichtsausschnitten (Gesichtsausschnitte und Augen von ReinsbergerInnen im Rückspiegel) gegenübergestellt. Das kollektive, ritualisierte Gehen im Gegensatz zum individualisierten Autofahren. Die Positionen, ritualisiertes Kollektiv und Individuum, Gehen und Fahren, trafen in beiden Arbeiten immer wieder aufeinander. Auch die Wahrnehmung beim Vorbeifahren oder beim langsamen Hinschauen war zentrales Thema der Arbeiten.

Oliver Hangl

"Reinswood"

Als Ausgangspunkt für die mehrteilige Arbeit "Reinswood" von Oliver Hangl diente das für einen ländlichen 900 Seelen-Ort ungewöhnlich hohe Interesse an kultureller (Eigen-)Produktion, deren Erfolg nicht zuletzt durch die (künstlerische und organisatorische, stets nebenberufliche) Multifunktinalität einiger Einzelner gewährleistet ist. Hangl erklärte Reinsberg für die Ausstellungsdauer kurzerhand zum "Künstlerort" und damit zur Bühne, auf der sich kollektive und individuelle Selbstdarstellung manifestierten. Als ersten Schritt ließ er den fünf Meter hohen, 30 Meter langen Schriftzug REINSBERG als Zitat in Anlehnung an Hollywood in den Berghügel montieren. Als zweites inszenierte er eine Art Casting am Kirchenplatz. Peronen aus dem Dorf kamen im feierlichen Outfit, wurden geschminkt und gestylt und dadurch für eine Fotoserie gestellt. Wie inszeniert sich ein Ort für den öffentlichen Auftritt? Mit Blumenorgien des Dorfverschönerungsvereins, Trachtenwettbewerben, Goldhauben, Anzügen, Schminke, am Traktor, mit Kuh. Mit welchen Medien wird dieser Auftritt transportiert? (Goldhauben im Internet?) Oliver Hangl operierte an der Schnittstelle zwischen Theater, Film und bildender Kunst. In seinen Performances, die er zumeist gemeinsam mit Schauspielern und Musikern erarbeitet, versucht er, theatrale und filmische Elemente miteinander zu verbinden - die Fokussierung auf visuelle Details und die Möglichkeit, zwischen Raum und Zeit hin und her zu switchen mit der Unmittelbarkeit des gestischen Ausdrucks, der nicht wiederholt werden kann. Er inszeniert künstlerische Einblicke in Szenarien, die für den Zuschauer zur Projektionsfläche für die Klischees und Fiktionen ihrer eigenen Identität werden können. Konstruktion und Perzeption dieser Images werden in den verschiedensten Medien erforscht - Film, Video, Musik und multimediale unterhalsame Live-Acts, die er situations- und kontextspezifisch einsetzt.

Barbara Kraus

"Schneckenfalle"

Auch die Performance "Schneckenfalle" von Barbara Kraus hatte ihren Ursprung in der Geschichte rund um die Hofmühle. Die Diskussionen um die Hofmühle im Vorfeld, brachten sie aber davon ab, direkt mit dem recherchierten Material eine Frauenfigur zu kreieren, wie ursprünglich geplant. Sie erfand für ihre Performance ein hybrides Schneckenwesen als Metapher für die Ambivalenz von Begehren. "Dem Bedürfnis nach trockenen, geordneten, eindeutig definierten und überschaubaren Verhältnissen steht die Anziehung und Faszination für feuchte, schleimig-schlüpfrige, dunkle Löcher gegenüber." (Barbara Kraus) Die Figur war schon Tage vor ihrem Auftritt in Wien unterwegs, hielt sich schon vor der Eröffnung in Reinsberg auf, besuchte die Reinsberger Nächte, ein Dorffest, das parallel stattfand, und trat bei Einbruch der Dunkelheit, vorher auf einem Fernseher von einer Fernsehmoderatorin angekündigt, vor das Publikum. Mit spitzen Schreien und sexuell konnotierten Gesten schuf sie sich Platz, trat an ein Rednerpult und predigte, umgeben von üppigem Salat. Im Text, der sich an die Sprache von antiquierten Drohpredigten anlehnte, ging es um "die Angst der Kirche vor den Frauen".

In einem zweiten Teil der Performance zog sich die Schnecke in ein Laubhaus zurück, schlüpfte aus ihrer Rolle und verlas Texte und Protokolle über Frauenbehandlung durch Inquisition und Hexenverfolgung. Der Dorfkirchplatz war Aufführungsort, was sicher ein Mitgrund für die heftige Diskussion und Reaktion der Reinsberger Bevölkerung während und nach dem Auftritt war. Nicht mehr über das Projekt, die Arbeiten oder die Form und Aussage der Performance wurde danach diskutiert, sondern allein über das gewagte Kostüm, die sexuelle Konnotation der Bewegungen und über Kirchenangriffe. Um den Prozeß der Annäherung innerhalb des dörflichen Kontextes und die Fragestellungen, Konfliktlinien und Transformationen, die sich dabei ergaben, zu verdeutlichen, hat Barbara Kraus ein kleines Bild/Textbuch mit dem Titel "feucht" produziert.

Rita Vitorelli

"die Burg, die Kirche, das Gasthaus und ..."

Ausgangspunkt der für Reinsberg entstandenen Arbeit "die Burg, die Kirche, das Gasthaus und ..." von Rita Vitorelli war "einerseits die Absenz von Werbeplakaten im Ort und andererseits die Recherche über das in der Region praktizierte Kunsthandwerk der alpenländischen Zielscheibenmalerei. Eine Gemeisnamkeit von Werbung und Scheibenmalerei ist die Idealisierung von Wirklichkeit. Die Illusion einer verbesserten Welt und die Infragestellung dessen ist ebenfalls eine malerie-immanente Überlegung." (Rita Vitorelli) Die Motive von Rita Vitorellis großformatig gemalten Bildtafeln zeigten die "Sehenswürdigkeiten" des Ortes - die Burgruine Reinsberg, die Kirche und das Gasthaus. Die Erschöpfung, die bei der rein auf Präsentation und Fremdenverkehrswirksamkeit ausgerichteten Abbildung eintritt, wurde mit den Mitteln der Malerei illustriert. "Diese ist nämlich nur zu einem geringen Teil tatsächlich ausgeführt, ansonsten skizziert, schlampig umgesetzt oder schlichtweg abgebrochen. Die Bilder verfehlen ihre Funktion und enttäuschen." (Rita Vitorelli)

Die Möglichkeit der prozesshaften Darstellung ist eine Qualität der Malerei, die für Rita Vitorelli im Fortlauf ihrer Arbeit immer mehr von Interesse wurde. "Gemischte Gefühle" lieferte dafür sowohl inhaltlich als auch formal die Basis. Die Aufstellung der Bildtafeln auf einer Wiese am Beginn des Ortes suggerierte vieles: Ist das neues Bauland, neue Bauprojekte, die sich beim genaueren Hinsehen aber sofort als schon eingeführte Klischees herausstellen? Ist das ein neues Werbekonzept, die "Sehenswürdigkeiten" eines Ortes vor dem Ort zu präsentieren?

Bilder (4)