Zum Inhalt springen

Blind Spot

Zurück
Beendet
Niederösterreich, 1.6.2003 – 30.6.2003

Information

Bei der umfangreichen Plakatkampagne "Blind Spot" wurden im Juni 2003 800 Plakate in ganz Niederösterreich affichiert. Im Gegensatz zu den meisten künstlerischen Plakatprojekten, bei denen Unikate oder nur sehr kleine Stückzahlen platziert werden, kann hier von einem tatsächlichen Einklinken der Kunst in dieses Massenmedium gesprochen werden. Für ein Werbeplakat stellen Kommunikationswissenschaftler heute eine durchschnittliche Rezeptionszeit von nicht einmal zwei Sekunden fest. Damit stellt sich den KünstlerInnen die Frage, ob sie sich dem scheinbaren Zwang zum Plakativen unterordnen wollen oder bietet diese Abrichtung des Mediums nicht vielmehr gerade der Kunst einen besonderen Freiraum sowie ein Feld neuer Bezugsmöglichkeiten abseits der Kunstinstitutionen? Ein wichtiger Abhebungspunkt ist, dass die Kunstplakate immer absenderlos sind, es muss kein Produkt beworben werden. Vor allem aber sind es die kommunikativen Strategien der Kunstplakate, auch wenn sie Formen des gewöhnlichen Grafik-Designs übernehmen sollten, die sie in Distanz zu ihrer Umgebung bringen. Meist bedienen sich die KünstlerInnen "minimalistischer" Strategien der Informationsverweigerung, die ein offenes Feld der Interpretierbarkeit bereitstellen.

Mitwirkende

Kuration

Beiträge

Erwin Wurm

Von Erwin Wurm wurde eine Arbeit aus der Serie "Instructions on how to be politically incorrect" affichiert. Im Plakatmedium, dessen rein appellativer Charakter sich stets latent und diskret zurückhält und sich nie offen zu erkennen gibt – denn selbstverständlich ist niemals das implizite Kommando "Kaufen!" explizit notiert –, wurde ausnahmsweise ein Bild platziert, das seine Vorschrift klar und deutlich formulierte. Allerdings war der Inhalt dieser "Instruktion", im Verhältnis zum sonstigen und alleinigen Zweck jenes "Hausmediums der Manipulation"1, das auschließlich dem Konsum dient, eher giftig: "Bettler bestehlen." Ähnlich wie bei Breunings "Double" wurde durch die Einbindung in einen werblichen Kontext auch bei dem Sujet von Wurm dessen ironische Qualität intensiviert. Mehr noch, in diesem Fall kam dadurch dem Bild sogar tendenziell eine – breitere – Bedeutung zu, die ihm bei einer bloß kunstspezifischen Rezeption innerhalb einer Ausstellung wohl versagt geblieben wäre. Konsumieren – kaufen – stehlen: Ohne viel Federlesen zu machen, wurden auf diese Weise – nämlich allein durch den Kontextbezug – Verknüpfungen hergestellt, die wenig rücksichtsvoll die zynischen Aspekte der Gesellschaft ins Licht setzen.

Die freundlich-spöttische Provokation, dem Kunstbetrachter Handlungsanleitungen für "politisch unkorrektes" Verhalten zu offerieren, wandelte sich durch die Transponierung in den öffentlichen Raum und gegenüber einem allgemeinen Publikum unversehens zum zynischen Imperativ; die Nachbarschaft zu den anderen Plakaten, die immer nur "Kauf mich!" schreien, verschaffte dem Sujet offensichtlich eine zusätzliche Brisanz: "Stiehl auch gleich!" Und dass die Bild-Inszenierung, in der eine attraktive junge Frau, modisch gekleidet im schwarzen Kostüm, sich aus dem Hut des Bettlers bedient, scheinbar und äußerlich auch Konventionen der Werbung befriedigte, steigerte nur noch ihre unterschwellige Virulenz.

Roy Villevoye, Jan Dietvorst

Die holländischen Künstler Roy Villevoye und Jan Dietvorst kombinierten für ihr Plakat zwei Standbilder aus ihrem Film "us/them" (2001), der in Papua-Neuguinea gedreht wurde. Die Videostills stammen aus einer Interviewszene, in der ein einheimischer Freund der Künstler, Pupis, sich zu einer Reise äußert, die seine beiden Cousins im vorhergehenden Jahr ins ferne Amsterdam unternommen hatten. Sowohl bezüglich des Sujets als auch in ästhetischer Hinsicht widersetzte sich die Arbeit entschieden dem, was man von Großplakaten gewohnt ist: die grobe, etwas unscharfe Ästhetik der Videostills; abgebildet ein Schwarzer – aber gerade nicht ein schönes schwarzes Model –, den Blick direkt zum oder auf den Betrachter gerichtet usw. Andererseits waren die grundsätzlichen Parameter der kommunikativen Struktur, die da wirksam gemacht wurde, durchaus stark: der schwarze Mann, der zu einem weißen Betrachterpublikum „spricht“; und auch der Rekurs, hinsichtlich der gestischen Sprache, auf die überkommene Plakatrhetorik des fordernden Mannes wurde wohl kaum zufällig hier in Szene gesetzt. Von daher steht die Arbeit in einer bestimmten Tradition politischer Plakate vergangener Tage, die zurückgeht auf Kriegsplakate des Ersten Weltkriegs – die berühmten Poster mit Lord Kitchener oder Uncle Sam, ebenfalls jeweils mit dem erhobenen, auf den Betrachter gerichteten Zeigefinger: "I want you for the army." Eine Bildrhetorik, die bekanntlich in heutiger politischer Webung längst keine Rolle mehr spielt. Der Verwendung oder Wiederaufnahme jener Figur appellativer Gestik steht bei dem Sujet allerdings – ganz im Gegensatz zu der historischen Propaganda – eine ziemliche Offenheit in der Bedeutung, im Zusammenhang von Bild und Text, gegenüber.

Die Interviewzitate sind so gewählt, dass vielerlei Konnotationen auf der textlichen Ebene in den drei kleinen Sätzen mitklingen. Zum Beispiel heißt es im linken Bild: "Why am I not allowed to see it there?" (und nicht: "Why can't I see it there?", was den gleichen Sinn hätte), und schon allein dadurch schwingt automatisch die ganze Geschichte bzw. der Diskurs des Kolonialismus/Rassismus mit: der schwarze Mann, der um Erlaubnis fragen muss. Der Untertitel dann im zweiten Videostill, "The next time I will go with you", lässt im Unklaren, was genau angesprochen ist. (Was ist das nächste Mal? Wohin gehen?) Gerade deshalb aber erhält der Satz – abgehoben von seinem konkreten Sinn im filmischen Interview – eine überindividuelle Bedeutung, die ohne Mühe etwa auch die allgemeine Beziehung der Ethnien zueinander mit einschließt. Die Untertöne und Beiklänge, die angeschlagen werden, artikulieren zusammen einen quasi poetischen Gehalt des Bildes, was dieses wiederum umso mehr aus dem plakativen Kontext herausstechen lässt.

Otto Mittmannsgruber, Martin Strauß

Wie schon bei einigen anderen Plakatprojekten von Otto Mittmannsgruber und Martin Strauß, wurde auch bei dem Entwurf für die technische Struktur des Mediums – die Gliederung in einzelne Bogen – für das künstlerische Konzept nutzbar gemacht. Von einer typischen anonymen Wohnblockarchitektur wurden drei Bauelemente abfotografiert (Fenster, Fenster mit Jalousien, blankes Wandsegment), die als Bild-Module auf den Plakaten beliebig zueinander gesetzt und variiert werden konnten. Das gewöhnliche serielle Kleberaster bei Großplakaten tat dann das Übrige: Plakatflächen wurden in Fassadenflächen verwandelt. Die, so könnte man sagen, primitive Beschreibung von Architektur hat freilich ihre Analogie in der Primitivität der Vorlage: Sie bildet sie ab, sie wiederholt die krude Serialität, die unter dem Diktat der Ökonomie seit Jahrzehnten als effizienteste Methode das modulare Bauen von billigen Blockbauten und Massenquartieren beherrscht – die hässliche Seite der weltweit zunehmenden Urbanisierung. Die Gestalt jedes einzelnen Plakates war dem Zufall – bzw. der Willkür des Afficheurs, der die verschiedenen Bogen nach seinem Belieben aneinander reihen konnte – überlassen, keines glich ganz dem anderen.

Diese Variabilität war völlig offen bis hin zu den Extremfällen: etwa einer Tafel, die nur aus den Teilen mit dem zugezogenen Fenster bestand. Allerdings stand dieser Offenheit die Blindheit des dargestellten Motivs gegenüber – maximale Varianz mündete in totale Redundanz. Von einem anderen Gesichtspunkt aus hatte die Sache einen weiteren Effekt: Die gewöhnlichen Werbeplakate und all die anderen kommerziellen Zeichen heften an der Architektur, sie perforieren die Baukörper Stück für Stück im Namen der konsumistischen Lebenshaltung. Das visuelle Loch, das der Kommerz in die heutige Realität der Architektur reißt, wurden hier sozusagen bildhaft gestopft. Von daher lieferten die Plakate auch einen ironischen Rückbezug zur illusionistischen Wandmalerei vergangener Zeiten – und Potjomkins Häuser hatten nun manchmal tatsächlich Bewohner.

Tomaz Gregoric

Der slowenische Fotograf Tomaz Gregoric beteiligte sich mit einem Bild aus der Serie "Periphery" an dem Projekt. Gregoric weist darauf hin, dass es sich bei "Periphery" nicht um inszenierte, sondern um dokumentarische Aufnahmen handelt: eine Graslandschaft bei Ljubljana, in der zwei Polizisten unterwegs sind. Landschaftssujets werden gewöhnlich auf Plakaten gemieden: Beim Bildaufbau von Plakaten wird normalerweise alles nach vorne gerückt, die Dinge sollen groß und präsent sofort ins Auge stechen, und die räumliche Tiefe von Landschaftssujets widerspricht offenbar diesem Prinzip. Zudem waren hier die beiden Polizisten, winzig klein in hohem Gras, etwa für Vorbeifahrende im Auto kaum noch wahrzunehmen. Zusammen mit den paar traurigen, halb abgestorbenen Birken gewissermaßen ein Beckett’sches Tableau also, das jener "Spielregel" des Mediums, dem Zwang zum Plakativen, in keiner Weise nachkam. Von daher war das Sujet schon in formaler Hinsicht dezidiert ein Fremdkörper im medialen Kontext, wobei vermerkt werden muss, dass die Tatsache, hier ein Fremdkörper zu sein, freilich keineswegs ausreicht, um den Transfer aus der Galerie hinreichend zu begründen – und das gilt selbstverständlich für jede Kunst im öffentlichen Raum.

Allerdings wurde gerade durch die Einbindung in ein Medium – bei gleichzeitiger Distanz zu diesem–, welches einem ganz anderen Rezeptionsmodus unterliegt, eine weitere Qualität von Gregorics Arbeit umso deutlicher: Die Fotografie zitiert einen viel älteren Bildtypus aus der Kunstgeschichte, konkret der barocken Landschaftsmalerei, wo die sympathetische Wechselbeziehung zwischen den Figuren und der Landschaft jenen – verloren gegangenen – Weltbezug zum Ausdruck brachte, der das Eingebettetsein des Menschen in der Natur zum Grundtenor hatte. In nicht wenigen der oben bereits erwähnten Situationen, in denen einem Großplakate auf dem Land begegnen, mag gerade dieser Zusammenhang – auch für den nicht kunstgeschichtlich Gebildeten – weit stärker denn als bloß leiser Anklang wirksam geworden sein. Was wiederum prompt in krassem Gegensatz dazu steht, wie wir heutzutage fast automatisch die emotionale Färbung eines Bildes wie desjenigen von Gregoric rezipieren: die beiden einsamen Männer, irgendwie verloren in der Landschaft. Erneut war es also der Kontextwechsel – von der Ausstellung in den öffentlichen Raum und in ein Medium, in welchem das Bild hinsichtlich seines kommunikativen Gestus eigentlich "deplatziert" war –, der die Stimmung und tendenziell auch die Bedeutung des Bildes beeinflusste, je nach Umgebung intensivierte oder sogar veränderte, auf alle Fälle aber bereicherte. Die Frage, die das Bild stellte und die freilich auch hier nicht "beantwortet" wird, war in ein anderes poetisches Licht gerückt: Was suchen die Polizisten im Gras?

Olaf Breuning

Bei Olaf Breuning ist die Verwendung von Klischees der Populärkultur künstlerisches Programm. Wie bei vielen anderen Arbeiten des Schweizer Künstlers werden auch bei "Double", einer Fotografie, die in der langen Reihe seiner skurrilen Gruppenporträts steht, Zeichen und Codes der Alltagswelt zu einer sonderbaren Mixtur montiert. Auf den ersten Blick aber präsentierte sich auf dem Plakat eine scheinbar ganz gewöhnliche, höchstens seltsam eingefroren wirkende Szene: Zwei Frauen und zwei Männer, alle in weißem Tennisdress und den Schläger in der Hand, hocken an und auf einem Picknicktisch. Wären nicht die eigenartigen gelben Masken, hätte man das Bild – inmitten all der anderen Werbungen – zunächst für eine Reklame für Sport-Accessoires halten können. Erst beim näheren Hinsehen zeigten sich die Details einer grotesken Inszenierung: Alle vier tragen Perücken, die Männer schwarze, die Frauen jeweils blonde mit dicken Zöpfen, den beiden Frauen wölben große, aufgeblähte Ballonbrüste künstlich die Polo-Hemden, jede der Personen ist jeweils am rechten Bein bandagiert usw. Breuning kombiniert Stereotype aus unserem kollektiven Bildrepertoire – aus der Erfahrungswelt des TV, des Kinos, der Mode, der Kunst und eben auch der Werbung –, um sie gleichzeitig zu überzeichnen oder subtil zu unterlaufen.

Von daher machte die spannungsgeladene Nähe zum Werbemedium, von der die Rede war, bei diesem Sujet einen umso größeren Effekt. Die Einbindung in einen medialen Kontext, der jenen Klischees wie nichts sonst verpflichtet ist, verschärfte umso mehr die ironische Distanz des Bildes. Mehr als womöglich bei einer Präsentation in einer Galerie wurde hier seine Qualität als surrealer Kommentar zu den Uniformierungen heutiger Freizeitindustrie virulent, mehr als anderswo brachte die Künstlichkeit der Szene – die doofen Masken, das bizarre Spiel mit klonhafter Gleichheit und Ununterscheidbarkeit – schonungslos das Lächerliche der sportiven Dresscodes zur Geltung. Stärker als in einer Kunstausstellung wurde hier die satirische Hinterfragung des schönen Scheins und der Suggestivkraft der Konsumwelt in den Vordergrund gerückt, die in Breunings Werk – ohne dass dabei der Reiz ihrer Verführungskraft unterschlagen würde – immer eine Rolle spielt.

Bilder (3)