Staat im Vertrag
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Information
„Österreich gedachte 2005 der Entstehung der Zweiten Republik, der Kriegsjahre, seiner Entwicklung nach dem Staatsvertrag, und vor allem dachte Österreich an die feierliche Unterzeichnung desselben. Es war so gut wie unmöglich, an diesem Umstand vorbeizukommen. Der Beirat für kunst im öffentliche raum niederösterreich initiierte eine Plakataktion, die unmittelbar auf das Jubiläum der Staatsvertragsunterzeichnung Bezug nahm. Neun internationale KünstlerInnen wurden im Rahmen des Projektes eingeladen, zum Thema Staatsvertrag Stellung zu beziehen und ein Plakat zu entwerfen.
Die Plakatreihe wurde im Juni 2005 in einem Festakt in Klosterneuburg präsentiert und danach in den Gemeinden Niederösterreichs affichiert und als Folder verteilt. Sie lagen an neuralgischen Punkten der Staatsvertragsfeierlichkeiten auf und stießen dort wie auch in den Gemeinden auf großes Interesse. Im Laufe des Sommers entwickelten sie sich zu Sammlerobjekten der besonderen Art. Ein so reges Interesse an den durchaus schwierigen und komplexen Themen, die die Plakate zum Inhalt hatten, hatten wir nicht erwartet. Es bestärkt uns in dem Bestreben, im öffentlichen Raum immer wieder auch unkonventionelle und schwierige künstlerische Arbeiten zur Diskussion zu stellen. Die Bürger und Bürgerinnen dankten es uns mit ungewöhnlich positiven Reaktionen. Wir waren uns der Schwierigkeiten, die die Vielschichtigkeit des Themas, der Umsetzung und der inhaltlichen Herausforderung betrafen, vollkommen im Klaren. Und es ist vielleicht hier der richtige Ort, uns bei den Künstlern zu bedanken. Sie haben durch ihren Beitrag Mut bewiesen, sich auf ein heikles Unterfangen einzulassen“
(PRINZGAU/podgorschek)
Mitwirkende
- Kuration
Beiträge
A Room of One's Own
Die Künstlerinnengruppe a room of one's own arbeitet seit 2001 in zahlreichen unterschiedlichen Projekten zusammen. Zentrale Anliegen sind die Erweiterung von Netzwerken und die Thematisierung politischer Praxen innerhalb und außerhalb des Kunstfelds. Im Projekt haben sie sich eines gängigen Phänomens angenommen. Österreich sah und sieht sich gerne als erstes Opfer des Nationalsozialismus und prinzipiell "haben wir nichts getan". Vorauseilender Gehorsam und katholisches Stigma sind Paarläufer und eher achtenswert als der Verachtung preisgegeben. In eben dieser Masse von Großtumskundlern, Suizidverdächtigen und kalkulierter Veropferung rühren die Mitglieder der Gruppe a room of one's own.
Fatih Aydoǧdu
Fathi Aydogdu ist vor allem bekannt für seine kritischen Analysen der sprachlichen Konstruktion von nationaler Identität. "Der Knochen der Zunge (Dilin Kemigi)" hieß eine Ausstellung, die Aydogdu gemeinsam mit Sandra Droschl und Norbert Pfaffenbichler für die Diagonale 05 konzipierte. Der Titel verweist auf die türkische Redewendung "Die Zunge hat keinen Knochen" und ist eine polyseme Referenz auf die Redefreiheit (Dil = Zunge, Sprache). In der Arbeit "Speech" nutzte er als Ausgangsmaterial eine Sprachkurs-Schallplatte aus den 70er Jahren mit dem Titel "Deutschpraktikum für Türken". "Der Druck zur sprachlichen Assimilation ist ein weiteres Merkmal der Ideologie, die mit dem Sprachkurs mittransportiert wird", sagt Fatih Aydogdu. Seine Arbeiten fordern dazu auf, kulturelle Selbstverständnisse, Vereinfachungen und Vereinnahmungen auf sprachlicher Ebene zu hinterfragen.In seiner Arbeit "Das Vertragszimmer" lässt er uns mit zwei leeren Sprechblasen und einigen Strichcodebalken zurück. Das Reinigungspersonal ist sowohl vor als auch bei dem Akt der Unterzeichnung anwesend. Es handelt sich bei beiden Bildern um legendäre Fotos eines geschichtlichen Ereignisses. Es gibt Listen von Anwesenden. Die beiden Frauen sind darin nicht verzeichnet.
Martin Gostner
Martin Gostner ist die Auflösung des bedeutungstragenden Wortes im Gestus der Wiederholung. Ihrem Kontext enthoben, collageartig aneinander gereiht und endlos wiederholt changieren die Worte in Gostners Arbeit zwischen Text und Bild. Für "Staat im Vertrag" versieht Gostner mit ironischer bürokratischer Geste stellvertretend die Nation mit Aufklebern: Das Wort "Vertrag", geschrieben in heute nicht mehr üblichen Schreibmaschinen-Lettern, referiert bereits über seine Form und Darstellung auf einen bestimmten Inhalt, eine bestimmte biografisch und historisch lesbare Geschichte. Gostners Beitrag arbeitet mit einer Kodierung, die sich einer Generation, die unmittelbar nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages aufgewachsen ist, sofort erschließt. Das von Gostner gewählte Schriftbild, das Motiv der Etikettierung und die inhaltlichen Aussagen zeigen, wie schon viele Arbeiten zuvor, dass Gostner nicht mit der Nachdrücklichkeit des Begriffes, sondern mit dessen Ablösbarkeit von Sinn und Kontext arbeitet.
Andreja Kulunčić
Andreja Kuluncics Arbeiten sind sozialpolitische Untersuchungen, assoziative Bild-Text-Geflechte, die soziale und politische Zustände hinterfragen. Signées, Schriften, Schilder, Flaggen von Restaurantnamen verschiedener Herkunft wie Saigon, Bombay, Bangkok, Little Italy Pizza etc. gliedern das Plakat von Andrea Kuluncic. Eine weltumspannende Corporate Identity von Fastfoodketten suggeriert eine globale Verbindung. Dynamische Schriftzüge suggerieren eine nationale Rückbindung, die längst nicht mehr stattfindet. International bekannte optische Attribute der schreienden Werbung für günstige Kost werden von Andreja Kuluncic auf blauem Grund zu einer Art fiktiver moderner Architektur montiert. In ihrem Text verweist sie auf die Hoffnung, dass die Schwellenangst vor dem Fremden durch multinationale Kost zu überwinden sei, und sie spricht in der Folge von der Möglichkeit einer besseren Welt. Eine bessere Welt - aber wohin? Das Fremde in dieser Form ist ein vertrauter Gast. Um auf die Zeit des Staatsvertrages zurückzukommen: Coca Cola ist einer dieser Gäste, und wer Coca schluckt verträgt auch Genmanipuliertes. Und darum ging es vielleicht auch Andreja Kuluncic: um die Manipulation unseres Alltags.
Jonathan Quinn
Es ist das kinetische Österreich, das Jonathan Quinn interessiert. Das Individuum der Population wird in einer rasenden Derwisch-Polka, ausgehend von einer Mitte, dem Zentrum, zu einem nie endenden Freudentanz in Rot-Weiß-Rot. Schon in seiner Arbeit "ehnix" (2001) rekonstruiert er mit einfachsten Mitteln, nämlich mit Draht, Objekte einer Inneneinrichtung. Einer hiesigen Inneneinrichtung, "weil es ist ja eh nix", eine in Österreich sehr geläufige Bezeichnung für eigentlich bedeutsame Dinge. In "At home" (2004) wird die Party noch eleganter. Eine Möblierung, angefertigt aus kaum sichtbaren Angelschnüren, die die Form des Möbels umreißen und mit dem Gegengewicht einer Kaugummimasse gehalten werden, fordert die Aufmerksamkeit und Sensibilität der Besucher heraus. "So wird die Cocktailparty aufgelöst, die informelle Formalität des Zuhauses wird mit der Ausstellung als vergangener Schutzraum dargestellt. Der Produktionsraum von Kunst wird selbst museal."* Alles Walzer, die Individuen haben nicht auf den fiktiven Betten Platz genommen, tanzen zwischen den Rillen des Plakats ihrer berüchtigten Auflösung entgegen.
Anna Artaker, Meike Schmidt-Gleim
Das Projekt trägt den Titel "Staat im Vertrag", und davon gingen die beiden Künstlerinnen Anna Artaker und Meike Schmidt-Gleim in ihrer Forschung aus. Vielleicht ist es gut zu wissen, dass diese beiden Frauen nicht "nur" eine künstlerische Ausbildung haben – sie sind auch Philosophinnen –, und Worte, deren Auslegung sowie kontextuelle Zusammensetzungen gehören zu ihrem Handwerkszeug. Sie nennen ihre Tätigkeit ironisch "Etymogelei", wobei es sich bei den Endprodukten ihrer Arbeit eher um geschliffenes Präsizionsmaterial handelt. Fangen wir bei "Staat" an: "STAAT-Tat-Tatblatt-EKH-Strommast-Strom-Hainburg-Kreisky" ... Gekonnt turnt sich der/die LeserIn durch die klar strukturierten Geschehnisse der jüngeren österreichischen Vergangenheit. Jedes einzelne Wort lässt eine inhaltliche Ableitung und zahlreiche Rückschlüsse zu: acht Wörter oder acht Kapitel neuerer Geschichtsschreibung. Und wer von "Vertrag" ausgeht und über "Gesellschaftsvertrag-schlechte Gesellschaft-Ges.m.b.H-BH-Dessous" bis zu "Palmers" kommt, weiß, was gemeint ist. Und wie es "unendlich weiter gehen könnte-wird-muss-wahrscheinlich eh schon" In einem Workshop 2004 in der Generali Foundation, Wien, den sie als "Probierwerkstatt und Sammelstelle" deklarierte, forderte Meike Schmidt-Gleim unter dem Titel "Ich will Feministin sein" dazu auf, "auf Gesten, Zeichen, Codes, Tricks und Grimassen nicht nur als Gewohnheiten, sondern auch als Facetten von Zugehörigkeiten, Solidarität und Kollektivität zu sehen". Ähnlich ist auch das Projekt von Anna Artaker und Meike Schmidt-Gleim als Probierwerkstatt und Sammelstelle angelegt – es steht dem Betrachter offen, seinen eigenen, sehr persönlichen Weg durch die von den Künstlerinnen angebotenen Strukturen und Assoziationsketten zu finden.
David Thorne
"I will put the past in perspective" ist Punkt Nr. 58 von David Thornes 100 Prophezeiungen für die Zeit, "wenn die Demokratie kommt". Der aus Los Angeles stammende Künstler David Thorne lebt und arbeitet derzeit in Damaskus. Seine Arbeit "Citizen" zitiert mögliche Hoffnungen und Befürchtungen auf Seiten der dort lebenden StaatsbürgerInnen angesichts einer zu erwartenden politischen Demokratisierung: "I will shake every last hand. / I will experience a bust of freedom. / I will not go away. / I will make the most bankruptcy. / I will thrive as an unknown. / I will not be able to recall ..." David Thornes Arbeiten dokumentieren und reflektieren aktuelle politische Diskurse und verweisen dabei nicht nur kritisch auf deren Strukturen und Mechanismen, sondern auch auf die konkreten Auswirkungen derselben auf reale gesellschaftliche Zustände. Gemeinsam mit Julia Meltzer arbeitet er u. a. an dem Projekt "The Speculative Archive" (www.speculativeproject.org). "Our project seeks to open a space for a contemplation of violence through a revisualization of historical and contemporary documents. We approach political violence not through its most visible effects, but rather through its documentary forms and procedures." Die Variationsbreite der 100 Prophezeiungen zur möglichen Demokratie liest sich ein wenig wie ein "Who's what" des Überlebens. Punkt 75 wäre dann "I will search for the missing years".
Jun Yang
Jun Yangs Arbeiten beschäftigen sich wiederholt mit den zeremoniellen Verhaltensmustern, die in eine standardisierte Alltagskultur eingebettet sind, und deren Rückwirkung auf das Individuum. Individuelle Erfahrungen und persönliche Biografie werden dabei mit öffentlichen Ritualen und Motiven verknüpft, das Individuum als gesellschaftliches Subjekt reflektiert. Das Projekt "Staat im Vertrag" war für Jun Yang, der sich als österreichischer Staatsbürger mit Unterschrift zur Verfügung stellt, eine vergnügliche Herausforderung. Und er hat die Sache ernst genommen, hat in die Zukunft geplant. Die Fälschungsbemühungen unserer Kindheit scheiterten an familiärer Unterstützung bzw. wurden auch von schulischer Seite wenig geschätzt. Somit verkümmerten diese Fähigkeiten mit den Jahren ... auch Jun Yang musste üben – von W. M. Molotow, A. Pinay, J. F. Dulles bis Figl. Souverän und mit viel Ironie verbindet der Otto-Mauer-Preisträger des Jahres 2005 die individuellen Erfahrungen seiner Kindheit mit dem gesellschaftlichen Großereignis des Jahres 1955.
Július Koller
Statement
"50. Jubiläum des sonnigen Österreichs als freier, unabhängiger und demokratischer Staat, der sich an den Siegel-Rädchen des internationalen Staatsvertrages von 1955 nach vorne bewegt." (Julius Koller)
Die sich eher patzig vorwärts bewegenden Siegelrädchen des Staatsvertrages humpeln über verlorene Zeilen eines Linienspiegels, ein schulisches Relikt aus Zeiten der Entstehung des Staatsvertrages und für viele dieser Generation ein Gegenstand der besonderen Vergangenheitsbewältigung. Hinter der Weltenkarte, vermutlich ausgeschnitten aus dem Kleinformat, also ein Stück österreichischer Alltag, befinden sich die Wellen der österreichischen Flagge grafisch dynamisiert, und alles zusammen spielt mit der Ironie des Dauerschönwettereinbruchs. Das Blatt ist mit ordentlichen Jubiläumslettern versehen.
"Julius Koller entwickelt seit Mitte der 1960er Jahre ein ebenso stringentes, erratisches wie von spielerischer Ironie geprägtes Werk, das zwischen universeller Neigung und Skepsis pendelt. Dieses Werk Julius Kollers, der zur Zeit der 'Normalisierung' Anfang 1960 einer der Hauptvertreter einer inoffiziellen slowakischen Kunstszene war, die nach 1968 durch das kommunistische Regime repressiv mit einem Bann der Unsichtbarkeit belegt wurde, entwickelt sich weniger linear als vielmehr in Schleifen und ineinander greifende Fortsetzungen und kehrt die verschiedenen Einflüsse der Zeit in Form von 'Anti-Happening', 'Anti-Bildern', 'Anti-Environments' um." (Georg Schöllhammer) Mit dieser "Anti-Plakatarbeit" zum Staatsvertrag bewegt er das Rädchen seines 1965 formulierten Manifests des "Anti-Happening" (System of Subjective Objectivity) weiter und subjektiviert das System behäbig rollend in Richtung ironischer Repräsentation (des Staates) unter Einhaltung der bestmöglichen Objektivität.