Anita Witek
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Full Moon
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Information
Für den Kunstraum Weikendorf hat Witek eine raumgreifende Collage entwickelt, die über den Galerieraum hinauszuwachsen trachtet: Durchs Fenster scheinbar ins Freie strebend, rankt sich das Gebilde über einen Teil der Fassade hoch. Entstanden in der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Kunstraumes, lenkt die Installation das Augenmerk auf dessen Form und Wandlung: ehemaliges Feuerwehrhaus, theatrale Kunstbühne, Raum für Unterhaltung und Kontemplation. Sie spielt mit den Polaritäten, die in der Architektur des Gebäudes und seinem (Schau-)Fenster als zentralem Element angelegt sind: Dieses dient als Öffnung für das Licht und unsere Blicke, macht sichtbar, wovon es zugleich trennt, verbindet Innen und Außen, wirkt gleichermaßen als Auge und durchlässige Grenze. Witeks Intervention lässt sich als Nachdenken über den Ausstellungsort selbst lesen sowie als temporäres Monument, das ein Eigenleben zu besitzen scheint: Was wir sehen, blickt uns an.
Wie ein Auge mutet an, was das Schaufenster umrahmt: Im Fokus von Anita Witeks Arbeiten steht das Sehen selbst. In die Mitte der blendenartigen Öffnung, die einen Teil ihrer eigens für den Kunstraum Weikendorf geschaffenen Installation Full MOON ausmacht, schiebt sich ein Kugelhaufen, dessen Oberfläche von Sternen überzogen ist; kommt man näher, werden Papierausschnitte erkennbar. Was hier aus dem Rahmen fällt und in den Raum drängt, verweist zugleich zurück ins Zweidimensionale der Fotografie. Formen und Farben des in Full MOON reproduzierten Bildmaterials setzen sich auf der Fassade des Kunstraums wie eine zweite Haut fort. Anita Witeks Fotocollagen schöpfen aus unserem kollektiven Bildgedächtnis. Sie speisen sich aus ephemeren Fundstücken, reproduzierten Ausschnitten aus Magazinen, Plakaten oder Zeitungen, die üblicherweise nur kurz angeschaut und schnell wieder weggelegt werden. Einem solchen schnelllebigen Bilderkosmos entstammend, erfahren sie im Kunstwerk eine neuerliche mediale Übersetzung. Dabei sind das Wegnehmen, Hinzufügen und Übereinanderschichten dieses Materials ebenso Teil von Witeks Schaffensprozess wie die Übersetzung der papierenen Artefakte in fotografische Räume. Der Schnitt ins Bild ist für die Künstlerin eine „zeichnerische Geste“. Ihr Interesse gilt den Randzonen der Bilder: Was bleibt von einem Foto, wenn sein Zentrum, das also, worauf einst die Aufmerksamkeit lag, entfernt wird? Bei aller Abstraktion und Zeichenhaftigkeit verweisen Witeks Installationen auf die Materialität des fotografischen Objekts und die physische Welt. Fotografische Bilder werden zu begehbaren Architekturen, die illusionistische Qualitäten besitzen. Künstliche Räume ohne erkennbaren Zweck oder Zentrum unterlaufen gewohnte Sehweisen und verweigern die panoramatische Einverleibung des Dargestellten; auch lässt sich, was sichtbar wird, nicht schnell wegwischen oder mit einer Augenbewegung aus dem Sichtfeld verbannen.
Witeks Arbeiten funktionieren raumspezifisch. Es sind analoge Unikate, die den eigenen Entstehungsprozess zur Aufführung bringen (eine grundsätzliche Eigenschaft von Collagen). Die von der Künstlerin auch in Full MOON eingesetzten bis knapp an die Decke reichenden und an Paravents erinnernden Holzrahmen geben vor, wie wir uns im Raum bewegen, und konfrontieren uns zugleich mit ihrer eigenen Körperlichkeit. Eignen wir uns Räume an oder umgekehrt? Full MOON lenkt das Augenmerk auf den Ausstellungsraum selbst: Als ehemaliges Feuerwehrhaus, theatrale Kunstbühne und temporäres Monument ist er zugleich ein Ort der Unterhaltung und Kontemplation. Die Installation spielt mit der Mehrdeutigkeit und den Polaritäten des Gebäudes. Als zentrales Element dient das in die Stirnwand eingelassene Fenster; als Öffnung für das Licht und unsere Blicke macht es sichtbar, wovon es trennt, verbindet Innen- und Außenraum, ist Durchlass und Grenze.
Der Titel Full MOON erzählt von der Zu- und Abnahme des Mondes, von der An- und Abwesenheit der Dinge. Wie bilden sich unsere Vorstellungen von den Dingen? Die Sterne heißt ein von der Künstlerin in einem alten Bildband gefundener Kupferstich aus dem 18. Jahrhundert, der nun fotografisch in Szene gesetzt wird. Auch unsere Vorstellung davon, wie der Mond aussieht, verdankt sich nicht zuletzt Reproduktionen und fotografischen Darstellungen. Ermöglichten zu Beginn des 19. Jahrhunderts immer besser entwickelte Fernrohre immer genauere Betrachtungen seiner Oberfläche, so beschäftigte seine Darstellbarkeit wenig später die Pioniere der Fotografie. „[S]elbst die Mondscheibe [...] lässt ihr Bild in Daguerre’s mysterieusem Stoffe“, hielt Alexander von Humboldt im Februar 1839 in einem Brief fest. [1] – Ein Wettstreit um die Magie zeichnet sich hier ab. Dem Zauber des Mondes kann sich niemand entziehen. Das Wissen um seine genaue fotografische Kartierung seit den 1960er-Jahren hindert uns auch heute nicht daran, da oben ein Gesicht auszumachen: Was wir sehen, blickt uns an. (Katharina Manojlovic)
[1] Zitiert nach Timm Starl: „Mond“, 22. 9. 2008. In: Ders.: Kritik der Fotografie; http://www.kritik-der-fotografie.at/25-Mond.htm (abgerufen 5. 12. 2018).