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Hier & Jetzt / Hic & Hunc

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Beendet
Klosterneuburg, 25.4.2014 – 16.11.2014

Information

Das Stift Klosterneuburg gehört zu den wichtigsten kulturhistorischen Zentren Österreichs. Es hat eine faszinierende Geschichte, in die sich zahlreiche macht- und religionspolitische Ereignisse eingeschrieben haben. Auch die Auseinandersetzung mit Kunst hat eine lange Tradition im Stift. Das Projekt „Hier & Jetzt“ setzt in diesem Zusammenhang ein weiteres wichtiges Zeichen, da die teilnehmenden KünstlerInnen eingeladen wurden, direkt vor Ort zu intervenieren und so in einen offenen Dialog mit dem Stift zu treten – ohne den Ausgang dieser Auseinandersetzung zu kennen. Säkulare und religiöse Zentren wie Schlossanlagen, Kirchen oder Klöster erzählen uns heute sehr viel über die Vergangenheit und die über Jahrhunderte andauernden (oder sich verändernden) Machtstrukturen. Kirche und Monarchie bildeten über einen sehr langen Zeitraum die kulturellen Mittelpunkte, und die Tatsache, dass die besten Architekten und Künstler der jeweiligen Zeit beauftragt wurden, ist bis heute in Ensembles wie dem Stift Klosterneuburg sicht- und spürbar.

Vom Frühmittelalter bis zum Spätbarock war die Kirche Hauptauftraggeberin für Künstler. Im Zuge der folgenden Emanzipation der Kunst von Adel und Kirche ab dem 18. Jahrhundert entwickelten sich ein künstlerisch autonomes Vokabular sowie dazugehörige Diskurse, die sich unabhängig von Auftraggebern behaupten wollten und mussten. In die Kirchen zogen im Gegenzug ab dem 19. Jahrhundert oft ein gefälliger Naturalismus oder ein steriler Historismus als sogenannter „Kirchenkitsch“ ein. Für die Kunst wiederum stellte das öffentliche Museum, das im 19. Jahrhundert großen Einfluss auf Kultur und Bildung gewann, einen neutraleren Ausstellungsort dar als Palast oder Kirche. Das Museum schuf der Kunst vordergründig einen Freiraum gegenüber kommerziellen und weltanschaulichen Bestrebungen. Allerdings gab es ein kontinuierliches Interesse an zeitgenössischen Positionen und Reaktionen in Bezug auf Kirchenräume oder religionsspezifische Themen. Dieses Interesse ist bis heute wichtig und wird mittlerweile auch wieder in zahlreichen Initiativen der Kirche gefördert. Kolumba in Köln, das Museum des Stiftes Admont, der Kardinal-König-Preis in Salzburg sowie der Monsignore Otto Mauer Preis in Wien sind wichtige Beispiele dieser Entwicklung. Das Stift Klosterneuburg setzt mit seinen Initiativen für zeitgenössische Kunst nun ebenfalls Zeichen in diese Richtung.

„Hier & Jetzt“ setzt sich aus zwei unterschiedlich generierten Projekten zusammen. Zu Beginn wurde section.a eingeladen, künstlerische Interventionen für die Innenräume des Stiftes vorzuschlagen. In einem zweiten Schritt wurde ein geladener kuratorischer Wettbewerb gemeinsam mit der Abteilung Kunst und Kultur/Kunst im öffentlichen Raum des Landes Niederösterreich ausgelobt, aus dem der Projektvorschlag von Cosima Rainer ausgewählt wurde. Die daraus entstandenen zehn Projekte in den Innen- und Außenräumen ziehen ein formal und inhaltlich individuell geknüpftes Netz aus aktuellen künstlerischen Handlungsräumen über 900 Jahre Raum und Zeit, das den BesucherInnen die Möglichkeit gibt, im Durchwandern neue Zusammenhänge und Bedeutungsebenen herauszulesen. Das Projekt war eine Herausforderung für beide Seiten: Einerseits stehen heute viele KünstlerInnen der auf Geschichte, Hierarchie und lange Tradition aufbauenden Struktur der Institution Kirche durchaus kritisch gegenüber. Diese Haltung ist den Chorherren natürlich nicht fremd, und trotzdem haben sie sich auf dieses Wagnis und Experiment eingelassen. Die Interventionen zeigen jedoch deutlich, mit wie viel Interesse und Respekt, aber auch wacher und kritischer Wahrnehmung die KünstlerInnen an diese Aufgabe herangegangen sind. Und gerade die Möglichkeit einer diskursiven Befragung ist notwendig, um einem solchen Projekt aus heutiger Perspektive eine Bedeutung zu geben.

Mitwirkende

Kuration

Beiträge

Nicole Wermers, Manuel Gorkiewicz, Christoph Meier

Außenraum

Der Gebäudekomplex des Stiftes Klosterneuburg bildet zahlreiche historische Einschnitte und ästhetische Formensprachen ab, die mit der repräsentativen Rolle einer Residenz der Babenberger und später der Habsburger verbunden waren. Die wechselnden stilgeschichtlichen Ausrichtungen erscheinen – im Unterschied zu anderen Klöstern, in denen oft einheitliche Architekturensembles überwiegen – im Stift Klosterneuburg geradezu collageartig verschränkt. Ausgehend von den Resten eines römischen Heerlagers wurde das Areal über die Jahrhunderte immer weiter ausgebaut und entwickelte sich vom romanischen mittelalterlichen Kleinkastell über gotische und renaissance-bezogene Zubauten zur barocken Kaiserresidenz und zu einem unvollendeten Klosterpalast nach dem spanischen Vorbild des Escorial. Neben diesen glamourösen Eigenschaften besitzt das Stift auch noch das älteste Weingut Österreichs und kann auf die 300-jährige weltliche Tradition des Leopoldifests zurückblicken. Rausch, Glamour, Stilmix, Heiligenverehrung und Machtpolitik spiegeln sich damit ebenso in den Gebäuden wider wie Seelsorge, Askese, kulturelle und wissenschaftliche Hochblüte und ein Reichtum an Kunstschätzen. Die drei künstlerischen Interventionen im Außenraum umkreisen das Stiftsareal, umlagern es mit überraschenden formalen Setzungen und situieren sich jeweils an Orten, die eine spezifische Bedeutung in der Geschichte des Stiftes haben. Die KünstlerInnen eint ein Skeptizismus gegenüber dem hochkulturellen und modernistischen Formenkanon, den sie humorvoll kommentieren oder außer Kraft setzen. Alle drei verbindet auch eine Auseinandersetzung mit den Gestaltungselementen des öffentlichen Raumes und der Alltagskultur sowie eine ortsbezogene Herangehensweise. Die Geschichte des Stiftes lieferte faszinierende Ausgangspunkte. Schließlich wurden die Tradition des Feierns und des „Fasslrutschens“ sowie die 900-jährige „Baustellengeschichte“ zu Bezugspunkten bei der Entwicklung der Konzepte.

Nicole Wermers ersetzt den festen Bodenbelag der Fläche vor der Sala terrena, die seit der Renovierung 2006 zum neuen Haupteingang des Stiftes umgebaut wurde, durch eine Mischung aus gefärbtem Sand, Glas- und Natursteinelementen in verschiedenen Farbtönen und Größen. Nicole Wermers bezieht sich in ihrer "Eigenmischung" für das Stift auf dessen 900-jährige Baustellen-Geschichte. Ausgehend vom hochmittelalterlichen Kleinkastell über den Umbau zu einem unvollendeten Klosterpalast bis hin zu den letzten großen Umbauten 2005 ist das Erscheinungsbild des Stifts geprägt durch eine Vielzahl stilgeschichtlicher Verschränkungen. Ähnlich einem Verfremdungseffekt oder einem surrealen Traumbild erzeugt die psychedelisch anmutendeSandmischung eine neue Wahrnehmung des heterogenen Baukörpers und knüpft mit ihrer leuchtenden Präsenz an die Ästhetik der Kunstschätze der Kirche an. 

Die architektonische Intervention von Manuel Gorkiewicz besteht aus einer industriellen Girlande aus silberner PVC-Folie, die üblicherweise zur Bewerbung von Autohäusern eingesetzt wird. Ausgehend von der ehemaligen Chorfrauenkirche über die Barockkuppel mit der Kaiserkrone werden sieben markante Punkte des Stiftes durch die Folie zu einem temporären Ornament verbunden. Wie mit einem überdimensionalen Nähfaden verknüpft Gorkiewicz dabei stilistisch heterogene Gebäudeteile des Stiftes, das seit dem 12. Jahrhundert immer wieder erweitert und umgebaut wurde. Die Intervention irritiert durch die Koppelung ihrer geometrischen Strenge mit einem alltagskulturellen Dekorationsmaterial, das man aus Vorstadtgebieten kennt. Manuel Gorkiewicz arbeitet gezielt mit der Ästhetik von industriell gefertigten Materialien wie Girlanden, Lampions und Dekorelementen, die oft mit dem Kontext des Feierns und Schmückens verbunden sind. Indem er das Ausgangsmaterial in ungewöhnliche,kunsthistorisch konnotierte Dimensionen und Formen weiterverarbeitet, entstehen irritierende Kippwirkungen und Dekontextualisierungen, die ebenso das Kunstfeld wie den öffentlichen Raum betreffen. 

Die Arbeit von Christoph Meier erschließt sich erst, wenn man das Stift umrundet. Versteckt im Apothekerhof, stößt man auf ein zehn Meter hohes Riesenrad, das nach einem Entwurf des Künstlers angefertigt wurde. Meier bezieht sich dabei auf die Tradition des Leopoldifestes, das seit dem 17. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Hofwallfahrt im und um das Stift gefeiert wird. Neben einem Jahrmarkt mit vielen Attraktionen entwickelte sich auch das sogenannte Fasslrutschen auf dem 1.000-Eimer-Fass im Stift zu einem fixen Bestandteil des Festes.Auf einer Bank zu sitzen und – in einer Balance mit anderen Fahrgästen – vertikal im Kreis zu rotieren, ist für Christoph Meier die abstrakteste Form von Amüsement. Naheliegende Begriffe wie Gemeinschaft, Begegnung oder Balance stehen hier im Zusammenhang mit seinem Einsatz von Sprache als bildhauerischem Mittel. Die Auseinandersetzung mit einem geometrisch abstrakten Formenvokabular und dessen performativen oder narrativen Potenzialen ist bezeichnend für Meiers Arbeitsweise. Dies spiegelt sich auch in der einfachen Form des Kreises, die hier mit der Erfahrung von Rausch und Gemeinschaft aufgeladen werden kann. 

(Cosima Rainer)

Nilbar Güreş, Mladen Bizumic, Eva Chytilek, Maruša Sagadin, Chris Fladung, Julia Williams, Clemens Wolf, Steinbrener/Dempf

Innenräume

Das Stift Klosterneuburg hat für sein Jubiläumsprojekt buchstäblich die Türen geöffnet. Sechs KünstlerInnen wurden die zentralen Orte des Stiftes als Dialogpartner zur Verfügung gestellt. Dabei ergab sich eine Verschränkung von kirchlichen Orten – Stiftskirche, Leopoldikapelle und Verduner Altar, Kreuzgarten und Vorraum zur Sebastianikapelle – und profanen Teilen des Stiftes, wie dem Weinkeller und dem Marmorsaal in der ehemaligen Residenz des Kaisers. Die eingeladenen KünstlerInnen wurden vor dem Hintergrund ausgewählt, mit der jeweils spezifischen historischen, formalen und inhaltlichen Substanz ein „Gespräch“ auf Augenhöhe führen zu können. Denn die dabei anzusprechenden Themenbereiche können durchaus unterschiedliche Meinungen zu Tage fördern, was künstlerisches Feingefühl benötigt, aber auch ein klares Selbstverständnis, um etwaige ideologische Diskrepanzen produktiv und respektvoll zu verarbeiten. Die Ergebnisse sprechen für sich und zeigen auf ganz unterschiedliche und überraschende Weise, was die Qualität solcher Interventionen in gegebene Strukturen sein kann, nämlich das komplexe Zusammenspiel aus dem Eintauchen in das Vorhandene und zugleich die souveräne Behauptung diesen Vorgaben gegenüber. Der Größe und der damit einhergehenden Weitläufigkeit des Areals war es in unseren Augen darüber hinaus geschuldet, über die neun zu konkreten Orten konzipierten Projekte etwas Verbindendes zu legen. Aus diesem Grund wurde eine Position eingeladen, losgelöst von einer spezifischen Örtlichkeit den Blick von außen über das Stift und die Projekte schweifen zu lassen, was sinnigerweise nicht visuell, sondern auf einer Tonebene geschieht.

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