Perchtoldsdorf
Die Bevölkerung von Perchtoldsdorf feierte im Juni 2021 das 500 jährige Jubiläum ihres Wehrturmes. Mit der Installation „Atem” brachte die Künstlerin Nilbar Güreş „weiße Atem-Blasen aus Stoff” an, die aus den Fenstern des Turms herausschauten und regte damit eine Auseinandersetzung mit der Funktion und Bedeutung des Bauwerkes an.
Nilbar Güreş ist bekannt für ihre poetische, tiefgründige und subtil humorvolle künstlerische Praxis, in der Rollenzuschreibungen und tradierte Kulturformen aufgebrochen und neu gedacht werden.
Zum Projekt:
Kinderworkshop „Wir bauen einen Wehrturm“
An einem Sonntag im September 2021 kam die INVENTOUR zur Festtafel auf dem Marktplatz und baute gemeinsam mit Kindern ein Modell des Wehrturms aus Verpackungsmaterialien, wie Karton und Folien.
Erzählcafé über Sorgekultur
Bei einem Erzählcafé mit Anrainer*innen, Nachbar*innen, Wahl und Original-Perchtoldsdorfer*innen wurde über ehemalige und heutige Ängste, Bedrohungen und Herausforderungen gesprochen. Welche Kultur der Achtsamkeit, der Sorge und des Aufeinanderschauens gibt es? Unter der Moderation von Gert Dressel, der beim Verein Sorgenetz und der Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen der Uni Wien aktiv ist, wurde darüber gesprochen wieviel städtische oder dörfliche Struktur das Gemeinschaftsleben, die Traditionen und Feste der Gemeinde Perchtoldsdorf mit der Großstadt Wien gleich nebenan prägt.
Moderation: Gert Dressel (Verein Sorgenetz und Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen/Uni Wien)
Verfremdung von Olivia Kienesberger, Workshop mit Nora Lička
Verfremdung
Mit meinem künstlerischen “Kommentar” beziehe ich mich auf die Installation der Künstlerin Nilbar Güreş, indem ich ein möglichst realitätsgetreues Modell des Wehrturmes und der Kulisse hinter ihm, nachbaute. Mit verschiedenen Mitteln und Materialien versuchte ich den Turm zu verfremden. Dabei stellte ich mir die grundlegende Frage, was eine derartige Kunstinstallation in Menschen auslöst. Dabei zog ich auch die eingefangenen Reaktionen der Perchtoldsdorfer Bürgerinnen mit ein. Die am häufigsten geäußerte Meinung war, dass eine visuelle Veränderung am Turm, die vor allem künstlich und ohne jegliche praktische Funktion ist, Aufmerksamkeit erregt. So scheint, dass der Turm so selbstverständlich für die Bürgerinnen geworden ist, dass seine prächtige Erscheinung schon gar nicht mehr bewusst wahrgenommen wird. Wenn jedoch etwas verändert und der Turm in einen neuen künstlerischen Kontext gestellt wird, werden die Bürger*innen wieder aufmerksam und es findet eine Neubetrachtung des Bauwerkes statt.
Ich sammelte Ideen, skizzierte und erprobte sie anschließend an meinem Modell. Meine erste Option den Turm zu verändern, war ihm Attribute zu verleihen, die ihn in einen neuen Kontext rückten. Der Wehrturm wurde zum Rapunzelturm. Er wurde dadurch in die Welt der Sagen und Märchen gezogen. In einem anderen Beispiel bekam er zwei Flügel zum Fliegen. Das verlieh dem Turm, der sonst ein Fels in der Brandung ist, plötzlich Leichtigkeit und Flexibilität. In einem weiteren bekam er Wurzeln, was ihn noch stabiler und standfester wirken ließ, als er ohnehin schon ist. In einem weiteren Versuch wurde der gesamte Turm eingepackt, einmal mit Alufolie, einmal mit Seidenpapier. Obwohl der gesamte Turm verdeckt und verhüllt war, erkannte man ihn sofort. Das machte ihn zugleich sichtbar und nicht sichtbar.
(Olivia Kienesberger)
„Postkarten mit Grüßen vom atmenden Wehrturm“
Die Kunstinstallation ATEM von Nilbar Güreş diente als Ausgangspunkt, um gemeinsam mit Perchtoldsdorfer*innen und Besucher*innen der langen Tafel am Perchtoldsdorfer Marktplatz über die selbstverständliche Präsenz des Wehrturms nachzudenken und um sich über ihre persönlichen Gedanken zum Turm und der Installation auszutauschen.
Aus diversem Bildmaterial rund um den atmenden Wehrturm wurden Postkarten von Bewohner*innen und Besucher*innen Perchtoldsdorfs collagiert, während ein lockerer Austausch über die Kunstinstallation und den Turm stattfand. Der Wehrturm wird als Bedeutungsträger und Wahrzeichen der Stadt bezeichnet, weshalb der Frage nach persönlichen Erinnerungen und Assoziationen der Menschen rund um den Turm nachgegangen wurde. Welche Interpretationsräume eröffnen die angebrachten Blasen? Und in welcher Beziehung stehen die Menschen zum Turm?
(Nora Lička)
Olivia Kienesberger studiert seit 2020 Kunst und Pädagogik an der Akademie der bildenden Künste Wien.
Nora Lička arbeitet im Bildungsbereich, in der Kunstvermittlung und schließt derzeit den Master für künstlerisches Lehramt an der Universität für Angewandte Kunst ab.