Lisa Rastl,
Willi Dorner
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HANDSHAKE - tracing a gesture
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Im Gedenkjahr 2025, 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, lädt das Projekt HANDSHAKE – Einer Geste wird nachgespürt dazu ein, eine symbolträchtige Versöhnungsgeste neu zu befragen. Ausgangspunkt ist der historische Handschlag zwischen einem sowjetischen und einem amerikanischen General in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945, dessen fotografische Dokumentation heute das Selbstverständnis von Erlauf als Friedensgemeinde prägt. Dieses ikonische Foto, Symbol des Kriegsendes, des beginnenden Friedens und zugleich der politischen Spannungen der Nachkriegszeit, bildet das Fundament für die künstlerische Auseinandersetzung von Willi Dorner und Lisa Rastl, um über Versöhnung, Begegnung und gesellschaftliche Verantwortung nachzudenken.
Die künstlerische Praxis von Dorner und Rastl bewegt sich an der Schnittstelle von Raum, Körper und sozialer Interaktion. Willi Dorner untersucht in seinen choreografischen Interventionen die räumlichen Strukturen und die damit verknüpften Bewegungskonventionen, Interaktionen und soziokulturellen Dynamiken des öffentlichen Stadtraums und privaten Innenraums. Seine Performances hinterfragen die Positionierung des Körpers im öffentlichen Raum, die Wahrnehmung von Hierarchien und die Bedingungen des Zusammenlebens. Lisa Rastl, Künstlerin und als Fotografin jahrelang im Museumsbereich tätig, ergänzt diesen Ansatz durch eine medienkritische Perspektive. Sie dokumentiert die Interventionen nicht nur, sondern gestaltet aktiv deren visuelle Repräsentation und hinterfragt die Bedingungen von Authentizität, Inszenierung und Wahrnehmung. In der Zusammenarbeit entsteht ein komplexes Spannungsfeld zwischen Aktion, Reflexion und medialer Vermittlung.
Die beiden Kunstschaffenden nähern sich der Geste des Handschlags nicht nur historisch, sondern setzen sich auch mit deren performativer, sozialer und medialer Dimension auseinander. In Zusammenarbeit mit Jugendlichen des BRG Wieselburg, dem Zukunftsforscher Gerald Koller und Menschen aus der Gemeinde wurde das Bild nicht einfach reproduziert, sondern der Akt des Aufeinander-Zugehens in den Blick gerückt: Wie gelingt Versöhnung? Was bedeutet Frieden schließen, nicht nur auf der Weltbühne, sondern zwischen uns?
In Erlauf entstand so ein vielschichtiges Projekt in mehreren Formaten. Einerseits wurde in Workshops mit Schülerinnen und Schülern die Geste des Handschlags körperlich, historisch und gesellschaftlich analysiert. Die Jugendlichen interpretierten sie, erfanden teils neue Gesten von Annäherung, Versöhnung und Unterstützung und machten sie auf dem TikTok- und Instagram-Kanal „Gestures of Peace“ digital zugänglich. Diese mediale Vermittlung macht die Relevanz von Gesten und die Notwendigkeit von Dialog und Verständigung in sozialen Medien sichtbar und eröffnet Reflexionsräume über Kommunikation im digitalen Zeitalter.
Andererseits wurde in jenem Raum des Gemeindeamts, in dem 1945 die Generäle einander die Hand reichten, ein Videostudio aufgebaut. Schülerinnen und Schüler wie Bewohnerinnen und Bewohner nahmen an einem Reenactment teil, bei dem sie die historische Pose einnahmen und im Anschluss über ihre Erfahrungen von Trennung, Versöhnung und Frieden reflektierten. Diese performativen Momente – eingefroren in Fotografie und Video – zeigen: Der Handschlag ist kein spontaner Ausdruck von Freude, sondern ein inszenierter Augenblick, der durch aktives Wahrnehmen und körperliches Erleben hinterfragt wird.
Am 10. Mai, im Rahmen des Friedensfestes, wurde das Gedenken schließlich zu einer gemeinschaftlichen Erfahrung und der öffentliche Raum zu einem partizipativen Ort: Ein kreisförmig angeordneter Sesselkreis auf dem Marktplatz brachte alle Teilnehmenden auf Augenhöhe, verschob Hierarchien und ermöglichte unmittelbare soziale Interaktion. Die Intervention verkörperte Prinzipien von Gleichwertigkeit, Respekt und Gemeinschaft und stand damit im Kontrast zu der hierarchischen, militärischen Ordnung, die üblicherweise den Ablauf von Gedenkfeierlichkeiten prägt. Aus dem Kreis entstand eine fotografische Erinnerung des gemeinschaftlichen Moments, die gemeinsam mit einem Video des Reenactments des Handschlags in die permanente Ausstellung ERLAUF ERINNERT im Museum des Ortes integriert wurde.
HANDSHAKE – Einer Geste wird nachgespürt zeigt exemplarisch, wie künstlerische Praxis Erinnerung, gesellschaftliche Reflexion und performative Erfahrung miteinander verschränken kann. Die Arbeiten von Willi Dorner und Lisa Rastl verdeutlichen, dass Frieden nicht durch Befehl entsteht, sondern durch Beziehung, Vertrauen und die Anerkennung der Würde jedes Menschen – wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte formuliert ist. Jede Geste, jede performative Handlung und jede fotografische Repräsentation sind zugleich epistemische Akte, die normative, soziale und ethische Dimensionen von Versöhnung erfahrbar machen. Sie sind Prüfstein für das eigene Engagement im Alltag und ein Appell an die gesellschaftliche Verantwortung gegenüber kommenden Generationen.
Das Projekt macht deutlich, dass Kunst im öffentlichen Raum nicht nur sichtbar macht, sondern Räume öffnet – für Dialog, Reflexion und aktives Handeln. Dorner und Rastl setzen die Vergangenheit in Beziehung zur Gegenwart, lassen Geschichte lebendig werden und schaffen Orte, an denen wir den Wert von Begegnung, Verständigung und Respekt unmittelbar erfahren können. HANDSHAKE – Einer Geste wird nachgespürt ist damit mehr als ein Projekt: Es ist eine Einladung, Erinnerung als Brücke zu begreifen und die eigene Haltung zu Frieden und Miteinander immer wieder neu zu reflektieren.
Fiona Liewehr
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