Luiza Margan
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Mit offenen Armen
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Information
Mit Luiza Margan hat die Weikendorfer Jury eine Künstlerin gewählt, deren Schwerpunkt auf Skulptur, Foto, Video und dem öffentlichen Raum liegt. Gerade der öffentliche Raum hat in den letzten Jahren eine Neubewertung erfahren, denn selten zuvor haben die Bewohner*innen ihre Stadt, ihre Gemeinde, ihre Architektur, die Beschaffenheit und Aufenthaltsqualität des öffentlichen Raums, aber auch Grünflächen, Denkmäler oder Kunst so bewusst wahrgenommen, wie das derzeit der Fall ist.
In ihrer Arbeit erforscht Margan die Beziehungen zwischen „privaten“ und „öffentlichen“ Bereichen und hinterfragt die Parameter, nach welchen diese gestaltet und strukturiert werden. Denn nicht nur in den privaten, sondern auch in den öffentlichen Raum schreiben sich historische Narrative ein und formen dadurch die kulturelle Identität. Es bilden sich Ideologien, Werthaltungen und Hierarchien ab, die das soziale Zusammenleben maßgeblich beeinflussen. Gerade Kunst spielt im öffentlichen Raum eine große Rolle, denn sie wirft Fragen auf, analysiert historische, ideologische oder ästhetische Wertsysteme, schafft neue Lesarten von Raum und fördert soziale Beziehungen.
Für den Kunstraum Weikendorf mit seiner semiöffentlichen Struktur, einem kompakten Raum, der sich durch ein großes Fenster zur Straße öffnet, hat Luiza Margan vier neue Skulpturen geschaffen, die sich formal und inhaltlich mit der Geschichte des spezifischen Ortes auseinandersetzen. Ihre künstlerische Methode ähnelte dabei der einer Archäologin, sie durchstreifte den öffentlichen Raum, fotografierte Symbole, heraldische Zeichen und Alltagsgegenstände, recherchierte ihre Geschichte und politischen wie sozialen Implikationen, fragmentierte, rekontextualisierte und verdichtete sie zu komplexen Bedeutungscollagen. Das Gemeinsame der Arbeiten besteht darin, dass sie sich in Form und Analogien mit dem Thema des Schutzes auseinandersetzen, also der Frage, wie und wovor eine Gemeinschaft glaubt, sich schützen zu müssen, und welche Vorstellungen dem Gefühl nach privatem oder öffentlichem Schutz zugrunde liegen. Aus dem Wappen des Rathauses hat die Künstlerin etwa die Ähre als Symbol für wirtschaftliche Prosperität, Sicherung von Nahrung, aber auch Heimatverbundenheit entlehnt, ihre Form reduziert und ihre Grannen zu an Schwerter erinnernde Spitzen stilisiert – ein Verweis auf eine nicht nur in der Nazi-Ära geschürte Ideologie, die darauf abzielt, persönlichen Besitz und Boden notfalls mit Blut zu verteidigen. Der Schlüssel, ebenso dem Wappen auf dem Rathaus entnommen, ist ein ambivalentes Symbol des Sich-Verschließens und gleichzeitig Sich-Öffnens gegenüber dem oder den Anderen, gegenüber dem Fremden und Unbekannten. In der künstlerischen Bearbeitung hat er eine biomorphe, an einen lebenden Organismus erinnernde Gestalt angenommen, vielleicht ein Verweis darauf, dass kulturelle Identität – die eigene wie die einer Gemeinschaft – immer im Fluss und in Veränderung begriffen ist und sich im Spannungsfeld von Abgrenzung, Anpassung und Öffnung konstruiert. Zäune als Symbol der Markierung von Territorien, aber auch des Schutzes von Eigentum waren die Inspiration für Luiza Margans Skulptur in der Mitte des Raumes. Als freistehende Gitterstruktur gestaltet, verliert sie jedoch in ihrer Transparenz und Umgehbarkeit jede Hermetik. Schließlich blickt eine aus vier formal reduzierten Augen geformte Skulptur vom Innenraum in den Außenraum und erinnert sowohl an das in der christlichen Ikonografie verbreitete allsehende Auge Gottes als auch an das in der islamischen Kultur als Schutzsymbol gegen den bösen Blick verwendete Auge auf der Hand Fatimas.
Luiza Margan hat als Migrantin selbst erfahren, was es bedeutet, abschätzigen Blicken ausgesetzt und zunächst mit einer ablehnenden Haltung konfrontiert zu sein. Denn das Grundbedürfnis des Menschen nach Schutz, Abgrenzung und Kontrolle hat stets mit der Angst vor dem Unbekannten und Fremden zu tun, vor dem, was die eigene ideelle, soziale oder kulturelle Identität aus dem Gleichgewicht bringen könnte. Jedoch benötigen wir alle Andere, um uns selbst zu begreifen.
Der französische Philosoph Jacques Derrida hat sich – beeinflusst durch seine eigenen Erfahrungen antisemitischer Diskriminierung – in vielen seiner Schriften mit dem Anderen, dem Fremden und dem Selbst auseinandergesetzt. „Das Eigentümliche einer Kultur ist, nicht mit sich selbst identisch zu sein“, formuliert Derrida in L’autre cap 1990.[1] Seiner Ansicht nach kann es keine kulturelle Identität, keine Selbstidentifizierung und kein Selbstverständnis geben ohne ein Kultivieren des Anderen respektive unseres Selbst durch den Anderen. Identität konstituiert sich stets im Spannungsfeld von Abgrenzung und Anpassung, von Eigen- und Fremdsicht, von Innen- und Außenschau. Mit Derrida gesprochen, brauchen wir alle die Unterscheidung durch die Identifikation des Anderen, des Fremden, um überhaupt als Selbst zu existieren. Erst im Spiegel des als fremd oder anders empfundenen Gegenübers vervollständigt sich das Bild unseres Selbst. Das Ich wäre für Derrida nicht es selber, es hätte keine Sprache, kein Haus, keinen Ort in der Welt, wenn nicht der Andere, der Gast, durch seine Ankunft ihm all dies erst geben würde. Er sieht im Empfang von Fremden die Chance für den/die Gastgeber*in, überhaupt erst einen Zugang zu seinem/ihrem eigenen Ort, zu seinem/ihrem eigenen Zuhause und damit zu sich selbst zu erhalten. Luiza Margans Ausstellung Mit offenen Armen im Kunstraum Weikendorf stand paradigmatisch für die Haltung einer Kultur von Gastlichkeit.
Fiona Liewehr
[1] Jacques Derrida: L’autre cap, Minuit, Paris 1990, S. 76.