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Counterpoints II

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Beendet
Grafenegg, 2018 – 2019

Information

Im Sommer 2018 fand im Schlosspark Grafenegg zum zweiten Mal COUNTERPOINTS. Kunst im Park statt. Temporäre Installationen der Künstlerinnen Edith Dekyndt und Ines Doujak bildeten Kontrapunkte zur Parkanlage mit Schloss, Auditorium und der Freilichtbühne. Die Künstlerinnen griffen Fragmente des Ortes, dessen Funktion oder Geschichte auf und erweiterten das historische Bezugsfeld des 300 Jahre alten englischen Gartens um globale Diskurse der Gegenwart. Die für den Ort konzipierte Klangskulptur Harmomnemonics der Formation Britschgi/Eberle/Reissner/Stickney wurde am 27. Mai 2018 im Schlosspark aufgeführt.

Mitwirkende

Kuration

Beiträge

Ines Doujak

„Landgrabbing / Landraub / Landnahme“

Im historischen Kontext nennt man es „Landnahme“ oder explizit „Landraub“, auf Englisch „Landgrabbing“, wenn in sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern von Afrika bis zu den Philippinen die BewohnerInnen – teilweise gewaltsam – von ihrem Land vertrieben werden, damit es ausländischen Investoren etwa für Plantagen oder Rohstoffminen verpachtet oder verkauft werden kann. Alleine in den Jahren 2001 bis 2010 wechselten rund 230 Millionen Hektar Ackerland in Ländern des globalen Südens auf diese Art die Besitzer. Die Folgen waren und sind für die Ernährung der lokalen Bevölkerung verheerend. Ines Doujak thematisierte diese gegenwärtig weltweit explosionsartig zunehmende Praxis der Inbesitznahme von Grund und Boden unabhängig von Eigentumsverhältnissen über den Sommer 2018 im Schlosspark Grafenegg in einer temporären Installation. Diese mutete zunächst wie ein Lehrpfad für Pomologie an, der stationsartig durch das Gelände des Schlossparks führte: An den Stämmen von 38 Bäumen hingen ca. 70 x 120 Zentimeter große Tafeln, auf denen ästhetisch äußerst ansprechende Zeichnungen von alten, zum Teil nicht mehr existenten Apfelsorten, Repliken von alten Buchillustrationen, abgebildet waren. Bei genauerem Hinsehen verloren sie jedoch ihre idyllische Wirkung. Über die Abbildungen waren Originalzitate von „Landräubern“ und deren Kritikern gelegt, die sich auf die Enteignung und Vertreibung ländlicher Bevölkerung auf der ganzen Welt – insbesondere durch Konzerne, Staaten oder Investoren – während der letzten 400 Jahre bezogen. Unter anderem war da zu lesen: „Wir werden Getreide importieren, ganz Europa hängt von Getreideimporten ab … Den Ukrainern liefern wir Kopftücher, Glasperlen als Schmuck und was sonst Kolonialvölkern so gefällt“ (Adolf Hitler, Monologe,1941). Die Zitate wurden jeweils in einer Fußnote erläutert oder kommentiert. Im Zusammenspiel mit den historischen Apfelsorten, die für die Zerstörung der Artenvielfalt durch – auch als Auswirkung des Landraubs entstehenden – Monokulturen sensibilisierten, zeichneten sie das Bild einer unermesslichen Gier, die unermessliches Leid in der Welt produziert. 

„In der Landfrage verknüpfen sich die zentralen Bereiche der gesellschaftlichen Naturverhältnisse wie Ernährung, Mobilität, Wohnen, Energie“, sagt Ines Doujak. Ihre Arbeit solle deutlich machen, dass die Praxis des Landraubs kein erst in der Gegenwart aufgekommenes Phänomen sei, „sondern vielmehr eine historisch spezifische Ausprägung eines Prozesses, in dem die gesellschaftliche Nutzung von Natur untrennbar mit kolonialen und postkolonialen Verhältnissen von Macht, Herrschaft und Ausbeutung verknüpft ist“. Das heiße auch, so die Künstlerin, dass „der Zugang zu Land und die Kontrolle darüber [...] nicht erst das Ergebnis von globalen Nahrungsmittelpreiskrisen, Klima- und Finanzkrisen“ seien, sondern „Ausdruck dieses Prozesses“. 
(Cornelia Offergeld) 

Roman Britschgi, Christian Eberle, Jörg Reissner, Pamelia Stickney

„Harmomnemonics"

Harmomnemonics wurde von Roman Britschgi in Zusammenarbeit mit Christian Eberle, Jörg Reissner und Pamelia Stickney für COUNTERPOINTS IIentwickelt und am 27. Mai 2018 im Schlosspark als ephemere Klangskulptur aufgeführt. Der Titel setzt sich aus „Mnemonic“ (vom griechischen Wort für „Gedächtnis“ abgeleiteter englischer Begriff für „Gedächtnisstütze“) und dem Begriff der Harmonie im Sinne der symmetrischen Verbindung von Tönen zusammen. Vor dem Hintergrund des im Stil der englischen Schlössergotik im 19. Jahrhundert um- und ausgebauten Schlosses und dem romantischen Landschaftsgarten collagierten und konstruierten die MusikerInnen, schichteten, schachtelten und erweiterten musikalische Strukturen mit Kontrabass, Drums und Glockenspiel, Gitarre und Sequenzer sowie Theremin und Cello. Durch den Einsatz von Pattern (harmonisch oder rhythmisch wiederkehrende Strukturen), Loops (unverändert wiederholte Sequenzen) und Samples (Weiterentwicklungen von vorhandenen musikalischen Sequenzen) legten sie Schichten musikalischer Phänomene frei und reflektierten deren strukturelle Bedingungen. Mit zentralen Motiven elektronisch beginnend, wurden transformative Prozesse in Gang gesetzt, die sich durch den Einsatz von akustischen Instrumenten weiterentwickelten. 

Harmomnemonics war eine auf interaktiven Prozessen basierende musikalische Untersuchung von Strukturen und Wiederholung, von Gleichklang und ständiger Veränderung, die den Eklektizismus der Architektur des 19. Jahrhunderts zum Ausgangspunkt nahm. Als diese setze sie Kontrapunkte von skulpturaler Qualität innerhalb der eigenen Komposition genauso wie zur Schlossanlage und zu den Kunstprojekten im Park. 
(Cornelia Offergeld) 

Edith Dekyndt

“bully missy queeny tipsy benji teddy”

Langsam spaziert ein junger Mann in österreichischer Volkstracht einen Monat lang während des sommerlichen Grafenegger Musikfestivals regelmäßig am Abend vor den Konzerten durch den Park. Man weiß nicht, wo der junge Spaziergänger in Lederhosen herkommt, wohlmöglich aus einer anderen Zeit. Seine Kleidung steht für eine Kontinuität der bäuerlichen Tracht, die in der gegenwärtigen Rückbesinnung auf regionale und nationale Zugehörigkeitsbedürfnisse eine romantisierende Renaissance erlebt. Drei Drohnen folgen dem Mann über Kopfhöhe und filmen seinen Spaziergang vorbei an Konzerthalle und Freilichtbühne. Die Filme kann man dann auf dem Bildschirm im Foyer der Konzerthalle sehen. Mit der Inszenierung erinnert Edith Dekyndt an die sechs Hunde der Schlossbesitzer (Bully, Missy, Queeny, Tipsy, Benji und Teddy), die auf dem kleinen Hundefriedhof im Park um die Skulptur eines Spaniels herum über die Jahre hinweg begraben wurden. Als „Nekropolis eines lautlosen Rudels“ bezeichnet die Künstlerin die Gräberansammlung. Dekyndt lässt die Hunde, die zu deren Lebzeiten den Park bis in die letzten Winkel belebten, wiederauferstehen. Sie projiziert ihre Wesen in Form von kleinen Robotern, die in der Luft wie flanierende drollige Tiere anmuten, ins 21. Jahrhundert. Dabei greift die Künstlerin, ihrem Interesse an Mysterien des Alltags folgend, eine mündlich überlieferte Geschichte auf, der zufolge der während der sowjetischen Besetzung (1945–1955) für Grafenegg zuständige Kommandant Schukowskij den englischen Park in eine Agraranlage umwandeln wollte. Es sei seine Frau mit ihrer Liebe zu ihrem Hund und zu den Spaziergängen mit diesem im Park gewesen, die diesen Plan durchkreuzt hätte. Sollte der Schlosspark wirklich durch Frau Schukowskaja gerettet worden sein? Diese Frage stellt sich Dekyndt als aufmerksame Beobachterin alltäglicher Prozesse. Aus einer Zeit, von der alle schriftlichen Belege zerstört sind, lässt sie die Geschichte durch einen geheimnisvollen stummen Protagonisten wie eine Art Novelle nacherzählen und dabei die malerischen Qualitäten des Parks als begehbares natürliches Landschaftsgemälde in zeitliche Abläufe übersetzen. 

So scheint es, doch die Performance ist als offenes Experiment der Interaktion des Menschen mit künstlicher Intelligenz angelegt. Wie stereotyp auch immer die Spaziergänge scheinen, es gibt keine Wiederholung. Jeden Tag lernen die Drohnen mittels eines dreidimensionalen Lese- und Auswertungsverfahrens, das auf der Automatisierung intelligenten Verhaltens basiert, hinzu. Je perfekter der Ablauf wird, umso mehr haben sie die Bewegungsabläufe ihres Herrchens in diesem konstanten Lernprozess erfasst und ihr Folgeverhalten optimiert. Fliegen sie beim ersten Rundgang noch in Bäume oder schweifen ab, werden sie täglich „zahmer“ und folgen zum Schluss „auf den Fuß“. Was so auf die einen BeobachterInnen drollig wirkt, mag anderen bedrohlich erscheinen. Denn in dem Szenario versteckt sich ein bedrohliches Vexierbild, das uns von der täglichen Reduktion des individuellen Freiraums durch wachsende Möglichkeiten an Überwachung in einer digitalisierten Welt erzählt. 
(Cornelia Offergeld)

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